Uneinigkeit bei Industriestrategie Neuer Streit um das EU-Wettbewerbsrecht

Brüssel · Zwischen EU-Kommissar Thierry Breton und der Vize-Chefin der Kommission, Margrethe Vestager, herrscht offenbar Uneinigkeit über die geplante Industriestrategie.

  Die Pläne der Kommission sehen unter anderem vor, dass sogenannte Ökosysteme gebildet werden, in denen ganze Wirtschaftszweige künftig zusammengefasst betrachtet werden sollen. In der Autoindustrie wären das beispielsweise nicht nur Hersteller, sondern auch Reparaturbetriebe oder Autoverleiher.

Die Pläne der Kommission sehen unter anderem vor, dass sogenannte Ökosysteme gebildet werden, in denen ganze Wirtschaftszweige künftig zusammengefasst betrachtet werden sollen. In der Autoindustrie wären das beispielsweise nicht nur Hersteller, sondern auch Reparaturbetriebe oder Autoverleiher.

Foto: dpa/Sina Schuldt

Wenn der für den Binnenmarkt zuständige Kommissar Thierry Breton nächste Woche seinen Vorschlag für eine neue Industriestrategie der EU vorstellt, dann hat der Franzose seine ersten inhaltlichen Auseinandersetzungen in der Kommission hinter sich. Dem Vernehmen nach gab es Streit mit der mächtigen Vize-Chefin der Kommission, Margrethe Vestager. Offenbar prallen der klassisch staatsdirigistische französische Ansatz in der Industriepolitik Bretons mit dem klassisch wirtschaftsliberalen Ansatz der Dänin Vestager zusammen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) musste den Streit schlichten, was dazu beitrug, dass die Strategie nun mit einwöchiger Verspätung kommt.

Wie zu hören ist, soll nun zunächst eine Expertengruppe einberufen werden. Dieses Forum, bei dem im Prinzip jeder teilnehmen kann, der im weiteren Sinn mit Industrie zu tun hat, soll sich mit dem Thema der industriellen Zukunft Europas auseinandersetzen.

In einer ersten Phase soll die Gruppe die zentralen „Ökosysteme“ der europäischen Industrie benennen. Geplant ist, dass ein Ökosystem etwa aus der Autoindustrie und allen Wirtschaftsbereichen bestehen wird, die dazu gehören, also nicht nur die Hersteller, sondern auch die Reparaturbetriebe und der Verleih von Fahrzeugen. Die gesamte europäische Industrielandschaft soll in etwa 20 solcher Ökosysteme aufgeteilt werden. Jedes Ökosystem soll dann anhand von drei Gesichtspunkten einzeln untersucht werden. Diese Kriterien sind „Green Deal“, „Digitalisierung“ und „Globalisierung“. Es soll dann definiert werden, wo im jeweiligen Ökosystem Probleme auftauchen, wo der Gesetzgeber handeln muss und wo es beispielsweise Bedarf an Forschungsförderung gibt. Das jeweilige Ökosystem soll in seiner ganzen Wertschöpfungskette betrachtet werden. Es soll also die Lage von Großkonzerne ebenso unter die Lupe genommen werden wie die von Klein- und Mittelständlern.

Breton will, dass Probleme und Potenziale für jedes Ökosystem getrennt ermittelt und dann in einem weiteren Schritt die passenden Antworten gefunden werden. Sie könnten auch in unterschiedlichen Regeln des Gesetzgebers für die verschiedenen Ökosysteme münden. Hier meldet Vestager, die Kommissarin für Digitales und Wettbewerbsrecht, Bedenken an. Unterschiedliche Regeln für die verschiedenen Ökosysteme seien nicht mit dem Wettbewerbsrecht in den EU-Verträgen vereinbar.

Damit deutet sich zwischen Breton und Vestager ein Konflikt um das Wettbewerbsrecht an. Breton dürfte wie der französische Staatspräsident Emmanuel Macron ein Anhänger von weniger strengen Regeln bei der Fusionskontrolle sein, wenn es etwa darum geht, europäische Champions zu bilden. Vestager dagegen hatte gegen viel Kritik aus Paris eine Fusion der Zugsparten von Siemens und Alstom abgelehnt.

Der Beirat der Stiftung Familienunternehmen hat Forderungen an die EU-Industriestrategie formuliert. Der Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft und Mitglied im Beirat, Gabriel Felbermayr, warnt vor einer Aufweichung des europäischen Wettbewerbsrechts, wie dies die deutsche und die französische Regierung fordern. „Bestrebungen, das europäische Wettbewerbs- oder Beihilferecht anzupassen, um politische Präferenzen umzusetzen, sind sehr kritisch zu sehen“, schreibt Felbermayr. Ifo-Chef Clemens Fuest, der ebenfalls in dem Beirat sitzt, fordert mehr Tempo beim Abschluss von Handelsverträgen. „Einer der Bereiche, in denen sich die EU stärker engagieren sollte, sind die Außenwirtschaftsbeziehungen“, fordert Fuest.

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