Keine Angst vor neuer Technik

Völklingen · 30 000 Produkte und 1500 Stahlsorten stellt Saarstahl her, 2,7 Millionen Tonnen Rohstahl werden jährlich verbraucht. Riesige Herausforderungen für Produktion und Anlagen. Ein Blick hinter die Kulissen.

 Der Leitstand ist das Herz der Produktion. Alle Messwerte laufen hier ein.

Der Leitstand ist das Herz der Produktion. Alle Messwerte laufen hier ein.

Foto: Saarstahl

Diplomingenieur Dirk Deckers ist seit vier Jahren Leiter des Stahlwerks von Saarstahl in Völklingen . Er verblüfft mit seinem eindeutigen Bekenntnis zu neuen Technologien. "Unsere Mitarbeiter haben davor gar keine Angst." Schnell wird klar, warum das so ist. Die Saarstahler haben nicht nur einen Konkurs in den Neunziger Jahren erfolgreich hinter sich gelassen, sondern auch mit dem Einsatz neuester Informationstechnologie (IT) den Kampf um internationale Marktanteile und Spitzenplätze in der Qualität der Stahlprodukte angetreten. "Wir haben deshalb auch keine Konflikte, etwa mit der Gewerkschaft, wenn es um die Einführung neuer Systeme geht", sagt Deckers.

Auch Diplomingenieur Gerhard Ney, seit 26 Jahren im Traditionsunternehmen und seit 2004 Leiter des Gießbetriebes, sieht die Anforderungen an die Arbeitsplätze und Erfüllung der Qualitätsstandards immer weiter anwachsen. Neueste Technologien lieferten gerade in der Stahlproduktion erstaunliche Möglichkeiten. "Wir können nicht nur viel schneller arbeiten, sondern sind auch in der Lage, möglichen Abweichungen in den Qualitätsanforderungen sekundenschnell auf die Spur zu kommen."

Ermöglicht wird dies auch durch ein auf zunächst drei Jahre angesetztes Forschungsprojekt namens "iProdict" in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken als Konsortialführer mehrerer Beteiligter. Das Bundesforschungsministerium unterstützt das Vorhaben mit drei Millionen Euro. Ein Projekt, das die für den Menschen unfassbare Zahl von mehreren Billionen Daten, die täglich im Stahlwerk anfallen, in kürzester Zeit auswertet und Abweichungen prognostizieren kann. So kann der Prozess bereits vor Eintreten einer Störung kontinuierlich angepasst werden.

Stephan Drautz, Leiter Informatik und seit 14 Jahren im Unternehmen, verweist darauf, dass der Begriff Industrie 4.0 mit einer stärkeren Automatisierung in der Produktion seit etwa drei, vier Jahren nahezu jedermann ein Begriff sei. Saarstahl praktiziere die zunehmende Automatisierung von Anlagen jedoch schon deutlich länger, was Kosten in der Produktion spare, für Mitarbeiter jedoch kein Nachteil sei. Sie würden in erster Linie auf Arbeitsplätzen mit besonders hohen Anforderungen eingesetzt.

Niemand bei Saarstahl brauche um seinen Arbeitsplatz zu fürchten, stellen die IT-Experten klar, die den Einsatz weiterer Informationstechnologie (IT) als Chance zur noch weiteren Qualitätssteigerung sehen. Auch Björn Stahmer, stellvertretender IT-Leiter, sieht eine kontinuierliche technologische Entwicklung ohne große Sprünge. Er erhofft sich vom Projekt "iProdict" zahlreiche neuen Erkenntnisse. Christian Diehl , Leiter der Informatik im Stahlwerk, sieht auch in der laufenden Produktion große Herausforderungen, denn 29 Anlagen und fünf gleichzeitig laufende Stahl-Produktionen müssen lückenlos überwacht und die Daten ständig ausgewertet werden. Welch immens große Herausforderung das in der Realität bedeutet, zeigt alleine, dass innerhalb der vergangenen sechs Jahre 900 unterschiedliche Qualitäten an Stahlprodukten in Völklingen angefertigt wurden. Deshalb betont auch Diehl : "Industrie 4.0 rationalisiert nicht Arbeitsplätze weg, sondern ermöglicht es, Ablaufprozesse in der Produktion kontinuierlich zu verbessern und die Qualität der Produkte zu steigern."

Über 30 000 Produkte und 1500 Stahlsorten werden bei Saarstahl hergestellt, 2,7 Millionen Tonnen Rohstahl jährlich produziert. Die meisten der Produkte verwendet die Autoindustrie. Im Rahmen des Projektes "iProdict" können mit den aus der Stranggießanlage ablesbaren Daten mittels einer Vielzahl von Sensoren vorzeitige Rückschlüsse auf die Qualität der Oberflächen von Stahl-Knüppeln gezogen werden, die nach dem Gießvorgang entstehen und danach in den Walzwerken weiterverarbeitet werden. Gerade die Beschaffenheit und Exaktheit der Oberfläche der Knüppel interessiert die Beteiligten am Forschungsprojekt "iProdict". Die Erkenntnisse lassen sich auch auf Prozesse in anderen Unternehmen und Branchen übertragen.

Eine besondere Rolle zur Optimierung der Qualität spielen mehrere Leitstände. Sie sind das Herz im Produktionsvorgang. Denn von dort aus kann sofort die Produktion beeinflusst werden. Das betrifft insbesondere die Zugabe von unterschiedlichen Legierungen bis hin zur Veränderung der Temperatur. Für jede Stahlsorte gibt es einen Arbeitsplan, der elektronisch in allen Stufen hinterlegt und exakt zu befolgen ist. Dieser erlaubt auch Analysen des Produktionsprozesses in allen Phasen, die innerhalb von fünf Minuten vorliegen. So lässt sich etwa ermitteln, ob der Anteil an Kohlenstoff den Vorgaben entspricht.

Stefan Herrmann aus Heusweiler bedient einen Leitstand. Er hat 15 Bildschirme im Blick, die die Produktion überwachen. Endlos lange Zahlenkombinationen erscheinen, die den exakten Anteil jeweiliger Materialien aufführen. Stimmt etwas in der Zusammensetzung nicht, muss Herrmann sofort eingreifen. Der bleibt gelassen. "Es macht Spaß", sagt er. Zu 1000 Vorgängen bekommt er Messwerte. Der Stahlabstich erfolgt bei Temperaturen von um die 1600 Grad. Trotz aller Technik bleibt die Stahl-Produktion für alle Beteiligten eine ständige Herausforderung.

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