Kassenpatienten können Zuzahlung sparen

Ein Online-Händler für Diabetiker-Bedarf wirbt damit, seinen Kunden die Zuzahlung an die Krankenkasse abzunehmen. Wettbewerbsschützer wollen das gerichtlich verbieten lassen - und erreichen genau das Gegenteil. Der Bundesgerichtshof erlaubt den Preisnachlass. Das Urteil und dessen Hintergründe erläutert dpa-Mitarbeiterin Anja Semmelroch in Frage-Antwort-Form.

 Diabetiker, die online Insulinspritzen bestellen, bekommen möglicherweise künftig Rabatt in Höhe der Zuzahlung. Foto: dpa

Diabetiker, die online Insulinspritzen bestellen, bekommen möglicherweise künftig Rabatt in Höhe der Zuzahlung. Foto: dpa

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Um was ging es vor dem Bundesgerichtshof ?

Ein auf Diabetiker-Bedarf spezialisierter Versandhändler aus der Nähe von Ulm hatte auf das Kassieren der Selbstbeteiligung der gesetzlich Versicherten verzichtet. "Zuzahlung bezahlen Sie übrigens bei uns nicht, das übernehmen wir für Sie!", hieß es unter anderem in dem Online-Shop. Das rief die von der Wirtschaft getragene Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs auf den Plan, die solche Werbeaktionen auch schon bei anderen Händlern beobachtet hat.

Warum finden die Wettbewerbsschützer das problematisch?

Sie kritisieren, dass solche Aktionen den Sinn und Zweck der Zuzahlungen aushöhlen - nämlich den Versicherten vor Augen zu führen, dass jede Leistung im Gesundheitssystem Geld kostet. Leidtragende seien außerdem die Apotheker, denen berufsrechtliche Konsequenzen wie Geldstrafen drohen, wenn sie die Selbstbeteiligung nicht kassieren.

Wie argumentierten die Karlsruher Richter?

Sie sagen: Die Zuzahlungen sind nicht dazu da, um Mitbewerber vor Konkurrenten zu schützen, sondern um die Kosten im Gesundheitssystem im Rahmen zu halten. Zwar ist es so, dass die Versicherten prinzipiell zur Zuzahlung verpflichtet sind. Bei medizinischen Hilfsmitteln wie Schuheinlagen, Blutzuckertests oder Hörgeräten gibt es aber Besonderheiten bei der Verrechnung: Hier zieht die Kasse automatisch einen Betrag in Höhe der Zuzahlung ab, wenn sie das Geld für die Leistung überweist. Der Verlust liegt also beim Händler. "Er kann auf die Zuzahlung ohne Weiteres verzichten", begründet der Senatsvorsitzende Wolfgang Büscher die Entscheidung (Az. I ZR 143/15).

Was bedeutet das Urteil für Kassenpatienten ?

"Für die Versicherten können sich dadurch erhebliche Einsparungen ergeben", sagt BGH-Sprecherin Dietlind Weinland. Denn zu den Hilfsmitteln zählen nicht nur Diabetiker-Produkte, sondern auch Kompressionsstrümpfe, Inkontinenzhilfen, Blutdruckmesser oder Hörgeräte. Auch Messgeräte, Prothesen und Rollstühle gehören dazu. Auswirkungen für verschreibungspflichtige Arzneimittel hat das Urteil nicht. Einen Preiswettbewerb bei den Hilfsmitteln gibt es aber nur, wenn die Händler den finanziellen Spielraum haben, sich die Zuzahlung entgehen zu lassen. Im Fall der verklagten Dr. Schweizer GmbH ging es um Beträge von höchstens zwei Euro, wie sie für die Abgabe von Teststreifen oder Lanzetten (Stechinstrumente für Blutproben) an Diabetiker fällig werden. Der Firma war es zu aufwendig, jedem Kunden im Online-Shop deswegen eine Rechnung zu schicken.

Wie passt der Fall zur Situation auf dem deutschen Arzneimittel-Markt?

"Wir haben ein grundsätzliches Problem", sagt Christiane Köber, Geschäftsführungs-Mitglied der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. "Einerseits gibt es im Hinblick auf das sensible Rechtsgut Gesundheit viele Regeln. Andererseits wird Wettbewerb gefordert, um möglichst günstige Preise zu erzielen. Das passt nicht immer zusammen." Größte Baustelle ist im Moment der Streit um die deutsche Preisbindung: Bundesweit haben alle Apotheken rezeptpflichtige Medikamente zum selben Preis abzugeben. Daran mussten sich auch ausländische Online-Apotheken wie Doc Morris halten - bis zu einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Oktober, der den freien Warenverkehr behindert sah. Angestrebt ist jetzt, die deutsche Praxis durch ein komplettes Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Medikamenten zu retten.

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