Lebenswege Mehr als nur ein Kreuzstich

Neunkirchen · Jutta Zimmer wurde 1967 mit gerade einmal 17 Jahren als Landesbeste im Sticker-Handwerk ausgezeichnet. Ein Blick zurück.

 Stick-Kunst hat Jutta Zimmer als jugendliche Auszubildende im Atelier der Textilkünstlerin Dorothea Zech gefertigt.

Stick-Kunst hat Jutta Zimmer als jugendliche Auszubildende im Atelier der Textilkünstlerin Dorothea Zech gefertigt.

Foto: Oliver Dietze

Als Jutta Zimmer ihre Lehre begann, war sie fast noch ein Kind. Damals hieß sie noch Biehl, war gerade einmal 14 Jahre alt und hatte die Volksschule in Merchweiler beendet. „Es war klar, dass ich eher etwas Handwerkliches machen möchte“, sagt die heute 69-Jährige. „Goldschmiedin hätte ich damals gerne gelernt“, erinnert sie sich. Und daran, dass sie gemeinsam mit ihrer Mutter zahlreiche Juweliere nach einer Lehrstelle abklapperte – eine Suche, die letztlich beim Kunsthaus Kopp am St Johanner Markt eine Wendung nahm. Dort erfuhren Mutter und Tochter, dass es möglich sei, bei einer Stickerin in die Lehre zu gehen.

Und schnell war die Entscheidung gefallen, dass die 14-Jährige bei der Stickerin Dorothea Zech in die Lehre gehen soll. „Eine der besten Entscheidungen meines Lebens“, sagt Zimmer heute im Rückblick auf diese Lehre. „Das war eine wunderbare Zeit.“

Denn Zech war nicht einfach nur eine Stickerin. Sie ist eine über das Saarland hinaus bekannte Textilkünstlerin, deren Wandteppiche und Installationen in zahlreichen Kirchen, Galerien, Krankenhäusern und Privathäusern hängen. „Sie hat mir eine vollkommen neue Welt eröffnet. Eine Welt der Kunst und Kultur“, sagt Zimmer. Bei Zech lernte die junge Jutta, dass Sticken weit mehr ist als Kreuzstich-Muster auf Deckchen. Mithilfe von Fäden entstanden Bäume, Wasserströme, Landschaften, sakrale Fantasie-Welten. Bilder, die erst skizziert wurden, um dann auf Stoff neu zu entstehen.

Immer wieder erinnert sich Zimmer an ihre Lehrzeit zurück. Zuletzt Ende Januar, als in der Handwerkskammer – wie in jedem Jahr – die besten Absolventen geehrt wurden. Denn vor 52 Jahren stand die junge Jutta Biehl selbst auf der Bühne. Die Arbeit bei der Stick-Künstlerin hatte sie so fasziniert, dass auch sie es zur Exzellenz gebracht hatte. Sie war nicht nur Landesbeste unter den Wäscheschneidern, Webern Stickern und Strickern geworden. auch auf Bundesebene hatte sie den zweiten Platz belegt. „Eine schöne Tradition ist diese Ehrung“, sagt Zimmer. „Damals haben wir einen Volks-Brockhaus geschenkt bekommen, in den wir auch oft hineingeschaut haben, als es noch kein Google gab.“

1967 war das, und die Zeiten waren noch deutlich andere. Die Einladung zur Ehrung war an „Fräulein Jutta Biehl, Stickereigesellin“,  adressiert. Maschinengeschrieben – an Computer war noch nicht zu denken. Selbst den Briefumschlag gibt es noch: 30 Pfennig kostete damals das Porto. Auch der Ton war damals ein anderer. „Sie wollen deshalb unbedingt der Feier beiwohnen und in der dritten Reihe, von der Bühne aus gesehen, Platz nehmen“, wird die frisch gebackene Gesellin beispielsweise von der Kreishandwerkerschaft im Vorfeld der Innungsfeier angewiesen. Und die Handwerkskammer schreibt anlässlich der Preisverleihung: „Zu der Feierstunde sind auch Ihre Eltern herzlichst eingeladen.“

Textilien blieben im Leben der landesbesten Stickerin weiter bestimmend. Vermittelt von ihrer Lehrherrin studierte sie anschließend an der Textilfachschule im pfälzischen Lambrecht, wurde Labortechnikerin für Textilwesen. Und statt Garne auf Stoffe zu sticken, wurde es später ihre Aufgabe, Garne und Stoffe im Labor zu testen, mal bei der Kunstseiden AG in Konz, dann in einer Zwirnerei in St. Wendel. Bei den Farbwerken Hoechst in Frankfurt hat sie ebenso gearbeitet wie bei dem Reifenhersteller Kleber in St. Ingbert. „In Reifen kommen schließlich auch Textilien zum Einsatz.“ Bei Kleber kam dann auch eine berufliche Wende, der Zimmer ein neues Feld eröffnete: „Ich entdeckte meine Liebe zur Statistik und landete im Büro“, sagt sie – ein Arbeitsplatz, den sie mehrere Jahrzehnte innehatte

Der Stickerei und der Kunst ist Zimmer aber weiter verbunden geblieben. So hat sie Freunden zur Hochzeit Stick-Kunstwerke gefertigt und ihren Studenten-Freunden ein gesticktes Wappen. „Das hat mich durch mein Leben begleitet.“

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