„Jaja, SPD-Gerede!“

Saarbrücken · Welche (Leit-)Kultur braucht das Saarland? Rettet uns der Pop? Darum ging es am Montagabend bei einer lebhaften Diskussion in Köllerbach. Auf dem Podium: Kultusminister Ulrich Commerçon und Bazon Brock – Künstler, Kunsttheoretiker und streitbarer Geist mit rhetorischer Ausdauer.

 Ulrich Commerçon

Ulrich Commerçon

Foto: Becker&Bredel

Beginnen wir mit der Lautstärke. Die erreichte an einer Stelle den Phon-Pegel eines startenden Kleinflugzeugs: Ausschweifende Ausführungen von Künstler und Kunsttheoretiker Bazon Brock ließen den ministeriellen Kamm von Ulrich Commerçon (SPD) sichtbar anschwillen und zwangen ihn zu einer spitzen Bemerkung: "Sie reden die ganze Zeit von Gleichheit, lassen aber niemand anderes zu Wort kommen." Brock ließ darob die Faust auf den Tisch donnern und konterte, man könne mit einer Stoppuhr beweisen, dass er, Brock, viel weniger geredet habe. Diese Aussage, offensichtlich einer Parallel-Realität entstammend, wurde mit einem kollektiven Lacher quittiert.

Aber worum ging es eigentlich am Montagabend in Uhrmachers Haus in Köllerbach? SR 2 Kulturradio hatte im Verbund mit der Saarländischen Gesellschaft für Kulturpolitik zum Auftakt einer Diskussionsreihe über Kulturpolitik geladen. "Kontroverse Meinungen" wünscht sich der Sender - so gesehen war das Debüt ein Erfolg. Um die Kultur im Saarland ging es: Ihr attestiert der Deutsche Kulturrat, wie Moderator Johannes Kloth erläuterte, vor allem Stagnation - ist die Idee des 2015 konstituierten Poprates, das Saarland mit Popkultur verjüngen und retten zu wollen, ein Ausweg - gar ein Konzept für eine sogenannte Leitkultur im Land? Commerçon zumindest schätzt den Begriff nicht; Kultur sei eher, saarländisch wortgespielt, "etwas von de Leit und mit de Leit". Ob Pop nun eine Leitkultur sein kann oder eine heißluftige Idee ist, weiß Commerçon noch nicht, auch im Hinblick auf das Pop-Festival des Landes, das 2017 erstmals läuft, von seinem Ministerium mit 250 000 Euro unterstützt. "Spannend ist ja, dass man nicht weiß, was Leitkultur wird oder nicht." Die Klassik jedenfalls ist es wohl nicht, denn "wir sehen, dass wir mit klassischen Konzerten viele Menschen nicht erreichen." Dennoch wolle sich "das Land nicht von der Klassik zurückziehen".

Brock indes vermisste eine Trennschärfe zwischen den Begriffen "Kunst" und "Kultur", was er in einem zehnminütigen Monolog darlegte, der bis auf Caesar und Augustus zurückging. Das Saarland jedenfalls sei "so gebeutelt von seiner Geschichte", dass es selber nicht wisse, was seine Kultur sei. Und Commerçon komme ihm vor, wie "jemand aus dem Jahr 1900, der einen Jugendverband gründen will".

Dann schaltete sich der Pop-rat in die Diskussion ein. Meinrad Maria Grewenig, Chef des Weltkulturerbes Völklinger Hütte und Leiter des Poprats, beklagte mangelnde Förderung für Jugendkultur. Brock: "Sagen Sie doch, dass Sie Wirtschaftsförderung wollen, dann hören wir Ihnen zu." Poprat-Co-Leiter Peter Meyer, im Brotberuf SR-Pressesprecher, attestierte dem Saarland "ein katastrophales Image außerhalb", das man mit der "Innovationskraft des Pop" verändern könne. Brock, ein Freund der Polemik: "Wenn man Sie so hört, klingen Sie wie die AfD." HipHop-Künstler und Poprat Markus Trennheuser (Drehmoment) warb beim kommenden Festival für "Offenheit für Vielfalt". Brock abfällig: "Jaja, SPD-Gerede!"

Konkretes erfuhr man über das Festival 2017 nicht, sogar eher Widersprüchliches: Man wolle Künstler abseits der Charts an die Saar holen, sagte Commerçon, also "nicht das Marktgängige". Poprat Meyer dagegen sprach von "Spitzenbands, die Geld kosten"; die finanzielle Unterstützung "von Ulli" (Commerçon) sei da "nur ein Tropfen auf den heißen Stein", man habe auch EU-Gelder im Blick. Man gewann den Eindruck, dass das neue Festival vor allem ein Projekt des Poprates ist. Festivalkurator und Poprat-Mitglied Thilo Ziegler - erfolgreicher Veranstalter ("Rocco del Schlacko") - warf indes die Idee einer "neuen Event-Arena" in die Runde. Musiker Elmar Federkeil (kein Poprat) widersprach da - genug Spielstätten böte das Land, aber "zu wenig Anlaufstellen für Musiker" und zu niedrige Gagen - auch etwa seitens des Saarlandes bei dem Berliner Sieben-Länder-Festival "Jazz in den Ministergärten".

Benedikt Fohr, Manager der Deutschen Radio Philharmonie (DRP), brach gegen Ende des Abends eine Lanze für die Klassik - die Förderung des Pop-Festivals "dürfe nicht zu Lasten der klassischen Kultur" gehen. "Es stimmt nicht, dass sich die Jugend nicht für klassische Musik interessiert". Commerçon betonte erneut, dass das Land an der Unterstützung der Klassik festhalte. Dass es sich jüngst aus den Musikfestspielen Saar zurückgezogen und den Zuschuss von 350 000 Euro mitgenommen hat, kam am Abend leider nicht zu Sprache.

Nach zwei lebhaften Stunden endete die Diskussion, leichte Erschlaffung machte sich breit, wenn auch nicht bei Bazon Brock, dem Unermüdlichen, der nebenbei Japan und Indien die Fähigkeit zur Kunst absprach, weil diese Länder das Individuum als solches nicht kennten. Höchstens zehn Prozent des Themas habe man ausgeschöpft, sagte er. "Aber ich komme sehr gerne wieder."

 Bazon Brock

Bazon Brock

Foto: OSSINGER / DPA

Sendung: Freitag, 22. April, 19.15 Uhr, SR 2 Kulturradio.

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