Interview mit IWH-Vize Oliver Holtemöller „Viele haben keine Einkommenseinbußen“

Berlin · Der Wirtschaftsexperte erwartet höchstens geringe Konsum-Effekte durch das Konjunkturprogramm des Bundes.

 Oliver Holtemöller, Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH).

Oliver Holtemöller, Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH).

Foto: IWH

Nach einer aktuellen Umfrage wollen zwei Drittel der Bundesbürger trotz Konjunkturprogramm nicht mehr Geld ausgeben. Oliver Holtemöller, Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH), ist davon nicht überrascht:

Herr Holtemöller, die Deutschen sind eigentlich ein Volk von Schnäppchenjägern. Was ist da los?

HOLTEMÖLLER Wir müssen uns fragen, was die Ursache dieser Krise ist. Da sagen viele Menschen, es ist sinnvoll, sich zurückzunehmen, um kein gesundheitliches Risiko einzugehen. Diese Grundstimmung lässt sich nicht mit ein paar Euro Rabatt wettmachen.

Soviel Kaufanreiz war trotzdem selten.

HOLTEMÖLLER Viele Menschen haben gar keine Einkommenseinbußen. Vielmehr hatten sie Probleme, ihr Geld auszugeben, weil die Konsummöglichkeiten eingeschränkt waren, geschlossene Restaurants und Kultureinrichtungen zum Beispiel. Das zeigt sich auch an der aktuell deutlich gestiegenen Sparquote. Insofern kommt das Ergebnis dieser Umfrage nicht überraschend. Generell ist es so, dass eine geringere Besteuerung des Konsums nur geringe konjunkturelle Effekte hat.

Kann es auch sein, dass viele abwarten, in der Hoffnung auf noch größere Preissenkungen?

HOLTEMÖLLER Das ist nicht auszuschließen. Aber in vielen Bereichen gibt es jetzt schon den gegenteiligen Effekt. Beispiel Tourismus. Wegen der absehbar weiter geltenden Schutzmaßnahmen gegen Corona sinkt die Kapazität an beliebten Urlaubsorten. Dies könnte sogar preistreibend wirken. Auf weitere Preissenkungen im großen Stil sollte man jedenfalls nicht spekulieren.

Umgekehrt wissen die Leute aber auch, dass ab Januar alles wieder teurer wird. Die Senkung der Umsatzsteuer gilt ja nur für sechs Monate.

HOLTEMÖLLER Einkäufe, die ohnehin geplant waren, werden viele vorziehen. Das stimmt. Vor allem bei größeren Anschaffungen wie zum Beispiel teuren Haushaltsgeräten. Da ist die Mehrwertsteuer-Senkung auch spürbar. Aber insgesamt ist die Maßnahme nicht sehr zielgerichtet und wirkt deshalb nicht optimal.

Der Handel rechnet mit hohen Kosten bei der Mehrwertsteuer-Umstellung. Welchen Effekt sehen Sie hier?

HOLTEMÖLLER Wo es einen großen Preiswettbewerb gibt, wie zum Beispiel unter den Discountern, ist es sicher kein großes Problem, die Kassen umzuprogrammieren. Es gibt aber auch Bereiche, wo die Preisgestaltung sehr intransparent ist. Beispiel Autos. Da zahlt ohnehin niemand den Listenpreis. Umgekehrt ist dann aber auch unklar, was man ohne Mehrwertsteuersenkung für das Auto bezahlt hätte.

Das heißt, viele Firmen werden den Steuervorteil für sich einbehalten?

HOLTEMÖLLER Ja. Aber selbst wenn die Senkung nicht an den Kunden weitergegeben wird und stattdessen das Unternehmen profitiert, dann kann das angesichts der großen Schwierigkeiten vieler Betriebe auch ein gewünschter Effekt sein. Die Frage bleibt aber, ob nicht andere Maßnahmen besser gewesen wären, um eine größeren konjunkturelle Wirkung zu erzielen.

Wie ist Ihre Antwort?

HOLTEMÖLLER Bezogen auf die Verbraucher sind die größten konjunkturellen Effekte dann zu erwarten, wenn es direkte Transfers für jene gibt, die tatsächlich Einbußen haben. Der geplante Kinderbonus zum Beispiel geht zwar in diese Richtung, ist aber für alle. Würden nur diejenigen profitieren, die gegenwärtig tatsächlich stark eingeschränkt sind, durchaus mit einem noch höheren Bonus, hätte man einen viel größeren konjunkturellen Effekt. Denn bei ihnen wandert das Geld in die Läden und wird nicht gespart.

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