Alitalia, Arcelor und die Schulden Italien versinkt in einer Flut von Problemen

Rom · Der Staat trägt offenbar zur Verschärfung der wirtschaftlichen Lage bei. Spektakuläre Fälle sind die Fluglinie Alitalia und das Stahlwerk Ilva.

 Niemand weiß, ob es für die Fluggesellschaft Alitalia eine Rettung gibt. Die Investoren zögern, während die Airline täglich eine Million Euro Verlust macht.

Niemand weiß, ob es für die Fluggesellschaft Alitalia eine Rettung gibt. Die Investoren zögern, während die Airline täglich eine Million Euro Verlust macht.

Foto: dpa/Antonio Calanni

Italiens Wirtschaft kriselt. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone ist mit rund 135 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschuldet, erlaubt sind nur 60 Prozent. Nach Einschätzung der EU-Kommission vom Mittwoch droht Italien mit dem Hauhaltsentwurf 2020 gegen die Vorgaben des Euro-Stabilitätspakts zu verstoßen. Die Regierung scheint die Situation noch zu verschärfen. Das zeigen zwei Fälle:

Sieben Mal hat die italienische Regierung schon die Frist verlängert, um einen neuen Besitzer für die seit zweieinhalb Jahren insolvente Fluggesellschaft Alitalia zu finden. An diesem Donnerstag ist es wieder so weit. Bis dahin müssen potenzielle Investoren ein verbindliches Angebot auf den Tisch legen. Dass mehr herauskommt als unverbindliche Absichtserklärungen, ist unwahrscheinlich.

Es geht um fast 11 000 Arbeitsplätze und um ein nationales Symbol. Mit Überbrückungskrediten hat Rom die Alitalia seit der Insolvenz im Mai 2017 am Leben gehalten. Die mit 117 Flugzeugen und weniger als 20 Millionen Passagieren im Jahr eher kleine Airline macht netto jeden Tag rund eine Million Euro Verlust. Nun sollen die italienischen Staatsbahnen (FS), der von der Benetton-Familie kontrollierte Infrastrukturkonzern Atlantia und die US-Fluggesellschaft Delta Air Lines einsteigen. Weiterer Partner würde das Finanzministerium.

Delta, die das nötige Know-how zum Betrieb einer Fluggesellschaft mitbringt, würde sich, so weit bekannt, nur mit zehn Prozent am Kapital der neuen Alitalia in Höhe von einer Milliarde Euro beteiligen. FS und Atlantia, die mit je 37,5 Prozent dabei wären, hatten vergeblich auf einen höheren Anteil der Amerikaner gedrängt. Ob das Modell mit Delta, Staatsbahnen und Atlantia überhaupt trägt, bezweifeln Branchenexperten.

Viel war in den vergangenen Wochen über einen Einstieg der Lufthansa spekuliert worden. Lufthansa-Chef Carsten Spohr hatte aber zuletzt bekräftigt, dass Europas größte Airline nur in eine restrukturierte Alitalia investieren würde. Am Dienstagabend meldete auch Atlantia Vorbehalte an und schrieb, dass die Bedingungen für den beabsichtigten Einstieg noch nicht gegeben seien. „Wir werden alles tun, was möglich ist, um sicherzustellen, dass die nationale Fluggesellschaft wieder mit ausgebreiteten Flügeln fliegen kann“, hatte Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte im Oktober getönt.

Derzeit ist Alitalia aber nicht das einzige Großunternehmen, das dem Regierungschef Kopfschmerzen bereiten dürfte. Ähnlich viele Arbeitsplätze stehen in Europas größtem Stahlwerk in Tarent in Apulien auf dem Spiel. Anfang November teilte der weltgrößte Stahlkonzern Arcelor-Mittal mit, aus dem Übernahmevertrag für das Stahlunternehmen Ilva auszusteigen. Conte reagierte empört und leitete rechtliche Schritte ein.

Der Weltkonzern hatte mit den Italienern im Oktober 2018 vereinbart, das verlustreiche Stahlwerk zunächst zu mieten, dann zu kaufen und einschließlich Kaufpreis 4,2 Milliarden Euro zu investieren. Grund für den Sinneswandel ist laut Arcelor-Mittal eine Entscheidung des italienischen Senats, die Immunität aufzuheben, die die Betreiber des Stahlwerks bei Verstößen gegen Umweltbestimmungen eigentlich genießen sollten. Hinzu komme ein Gerichtsentscheid, nach dem einer der Hochöfen schon bis zum 13. Dezember geschlossen werden müsste. Arcelor-Mittal sieht sich nun berechtigt, von einer Ausstiegsklausel im Vertrag Gebrauch zu machen. Die Regierung widerspricht.

Nach Einschätzung des Magazins „L‘Espresso“ sendete die italie­nische Politik ein verheerendes Signal in Sachen Rechtssicherheit im Lande, als sie die Konditionen für Arcelor-Mittal kurzfristig änderte. „Ein groteskes Spektakel, wie einstudiert, um die großen internationalen Investoren zu überzeugen, einen weiten Bogen um Italien zu machen“, schrieb das Blatt. Im Fall Alitalia wiederum, so „L‘Espresso“, habe die Regierung niemals bewiesen, einen wirklichen Zukunftsplan zu haben. Zu echten Sanierungsschritten sei die Politik aus Angst vor dem Verlust von Wählerstimmen nicht bereit. Doch dieses Vorgehen mündet womöglich im Aus für die Airline. Denn wenn die Investoren nicht einsteigen, kann der Staat Alitalia womöglich nicht länger am Leben erhalten. Es droht nämlich Ärger mit der EU. Gewährt der Staat die für 2020 geplanten weiteren Überbrückungskredite, könnte Brüssel dies als unzulässige Beihilfe werten, mutmaßt der Luftfahrtexperte Andrea Giuricin.

Und wenn Arcelor-Mittal sich wirklich zurückzieht, droht das Ende des Stahlwerks Ilva. Das wäre besonders fatal, weil es im strukturschwachen Süditalien eh schon eine hohe Arbeitslosigkeit gibt. Im reichen Norden wiederum, wo vorige Woche Venedig in den Fluten versank, erschüttern die Pannen beim Bau einer geplanten Hochwasserschutzwand das Vertrauen der Italiener in die technische Leistungsfähigkeit ihres Landes.

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