Ärger über teures Wohnen Bürger protestieren gegen „Mietenwahnsinn“

Berlin · Familien finden keine Wohnungen, Ältere haben Angst, die Miete nicht mehr zahlen zu können – die Wut über stark steigende Mieten hat am Samstag mehrere Zehntausend Menschen in vielen deutschen Städten auf die Straße getrieben.

In Berlin, wo das Problem wie in vielen Großstädten besonders krass ist, begann gleichzeitig ein bislang einmaliges Volksbegehren zur Enteignung großer Wohnungskonzerne – und sorgt für hitzige Debatten.

Der Grünen-Bundesvorsitzende Robert Habeck hält Enteignungen prinzipiell für denkbar. Wenn etwa Eigentümer brachliegender Grundstücke weder bauen noch an die Stadt verkaufen wollten, müsse notfalls die Enteignung folgen, sagte er der „Welt am Sonntag“. Das Grundgesetz sehe solche Enteignungen zum Allgemeinwohl ausdrücklich vor.

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sagte zu der Debatte: „Mit Enteignungen wird nicht eine einzige neue Wohnung geschaffen.“ Es würden nur private Investoren für Neubau-Vorhaben verschreckt. „Gegen steigende Mieten helfen nur mehr Wohnungen und nicht DDR-Ideen“, sagte er der „Rheinischen Post“.

SPD-Parteichefin Andrea Nahles sagte der „Bild am Sonntag“, sie verstehe die Wut auf Wohnungskonzerne, „die jeden Cent aus den Mietern rauspressen wollen“. Statt Enteignungen wolle die SPD aber einen Mietenstopp. „Und das verfügbare Geld in bezahlbaren Wohnraum investieren, damit mehr Wohnungen entstehen“. Der stellvertretende SPD-Chef Ralf Stegner verteidigte dagegen Enteignungen als „Notwehrrecht“ des Staats. Stegner verwies auf das Grundgesetz, das festlege, dass Eigentum verpflichte. „Es gibt teilweise halbkriminelles Verhalten, bei dem die Not der Mieter ausgenutzt wird. In diesen Fällen muss der Staat Handlungsfähigkeit beweisen“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) räumt zwar ein, dass das „Unwesen von Miethaien“ bekämpft werden müsse, findet aber: „Das Gerede über die Enteignung von Wohnungseigentum ist völlig undiskutabel.“

Die Initiatoren des Volksbegehrens, das in mehreren Stufen abläuft und sich Jahre hinziehen kann, berufen sich auf das Grundgesetz. Artikel 15, der allerdings nach Angaben von Verfassungsrechtlern noch nie angewendet wurde, lässt unter Bedingungen die Überführung von Grund und Boden oder Produktionsmitteln in Gemeineigentum zu – gegen Entschädigung. Wohnen sei ein Menschenrecht und keine Ware für „Spekulanten“, argumentiert die Initiative, die sich von einer „Vergesellschaftung“ bezahlbare Mieten auf Dauer für alle erhofft. Der Vorstoß zielt vor allem auf den Konzern Deutsche Wohnen ab, der in Berlin rund 112 000 Wohnungen besitzt und wegen seines Umgang mit Mietern häufig in der Kritik steht.

Das Protestbündnis sprach von deutschlandweiten Aktionen in 19 Städten mit 55 000 Menschen. Demonstrationen und Protestaktionen gab es neben Berlin in Köln, Leipzig, München, Stuttgart, Frankfurt und anderen Städten. Die Protestierer forderten einen stärkeren Kampf gegen Spekulationen mit Wohnungen.

(dpa)
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