Zulieferstreit „Ich kann mich nicht auf VW verlassen“

Saarbrücken · Das Prevent-Management plant eine Zukunft der Neuen Halberg Guss – auch – ohne den bisherigen Hauptkunden Volkswagen.

 Die Neue Halberg Guss sei beim Gießen großer Teile Weltklasse, sagt Geschäftsführer Barbaros Arslan.

Die Neue Halberg Guss sei beim Gießen großer Teile Weltklasse, sagt Geschäftsführer Barbaros Arslan.

Foto: BeckerBredel

Das Misstrauen ist groß. „Ich kann  mich nicht auf VW verlassen“, sagt Alexander Gerstung, Managing Direktor der Neuen Halberg Guss (NHG) und Vertreter der Prevent-Gruppe, die erst vor wenigen Monaten die Saarbrücker Gießerei gekauft hat. Die Aussage verwundert nicht angesichts des Macht- und Preiskampfs, den der Zulieferer Prevent und der Wolfsburger Autokonzern seit Jahren austragen und der nun auch bei der NHG eskaliert. Betriebsrat und Gewerkschaft IG Metall bangen um die rund 1500 Arbeitsplätze in Saarbrücken-Brebach und etwa 600 im Schwesterwerk Leipzig. „Die ziehen eher schneller als später den Stecker“, sagt Gerstung über die Volkswagen-Einkäufer. Er ist offenbar überzeugt, dass Volkswagen über kurz oder lang die Neue Halberg Guss aus ihrer Lieferantenliste streichen wird.

„Ich möchte mich einstellen auf eine Zeit ohne VW“, sagt Gerstung, auch wenn er sich wünscht, weiterhin Motorblöcke an Volkswagen zu liefern. Die Zukunft sieht er verstärkt in der Produktion für Kunden außerhalb der Autobranche. Mit dem Motorenbauer Deutz sei man zum Beispiel auf diesem Feld im Geschäft. Dort gebe es Wachstum. Daran könne die NHG sehr bald teilhaben. „Zwölf bis 18 Monate sind realistische Vorlaufzeiten“, sagt er und gibt sich zuversichtlich, schnell entsprechende Aufträge hereinzuholen. Zumal „die NHG im Bereich schwerer Guss-Produkte Weltklasse ist“, wie Gerstungs Geschäftsführungskollege Barbaros Arslan ergänzt. Das sei auch der Grund für Prevent gewesen, die NHG zu übernehmen, sagt Gerstung. Das Unternehmen sei eine „natürliche Erweiterung unseres Gießerei-Portfolios“ der Prevent-Gruppe, die der bosnischen Investorenfamilie Hastor gehört. Die Gewerkschaft IG Metall befürchtet dagegen, dass Prevent nur ein weiteres Druckmittel im Streit mit VW haben wollte.

Falls wirklich der Hauptkunde VW wegfällt, hätte das schwerwiegende Folgen für die Werke und die Arbeitsplätze. VW steht schließlich derzeit für mehr als die Hälfte des Geschäfts. „Mit allen anderen Kunden, die wir haben, kann die NHG überleben, aber nicht in der Dimension, wie wir sie jetzt haben“, sagt Arslan. Das Prevent-Management lässt aber offen, welcher Standort gefährdet wäre und wie viele Arbeitsplätze bedroht sein könnten. „Die Neue Halberg Guss hat schwierige Zeiten hinter sich und wird schwierige vor sich haben“, sagt er. Erst 2009 war das Unternehmen in der Insolvenz. „Die Frage ist, wer ist bereit, mit den Halbergern auf die Reise zu gehen. Wir waren es und sind es immer noch“, bekräftigt er das langfristige Interesse von Prevent, die NHG zu sanieren und neu auszurichten.

Warum die NHG-Geschäftsführung so skeptisch ist, was eine Zukunft mit VW angeht, erklärt sich aus einer längeren Vorgeschichte. Dabei geht es um Preise, Mengen und Zusagen, um Erpressungsvorwürfe und Bruch von Versprechen, und um den Diesel-Skandal: Der niederländische Fonds HTP, der die Gießerei 2011 aus der Insolvenz übernommen hatte, hatte offenbar höhere Preise ausgehandelt, um die Sanierung des Unternehmens stemmen zu können. Im Zuge des Verkaufs an die Süddeutsche Beteiligungs GmbH (SDL)  im Sommer 2017 gestand VW diese Preise weiter zu – aber unter Vorbehalt. „Wir möchten Ihnen dadurch entgegenkommen, dass wir bis auf weiteres die mit dem ausgestiegenen Gesellschafter vereinbarten Preise bezahlen“, heißt es in einem Schreiben von VW an die SDL vom 26. Juni 2017, das unsere Zeitung einsehen konnte. „Bis auf weiteres“? Was das heißen soll, bleibt offen.

VW hatte der SDL darüber hinaus weiteren Unterlagen zufolge weitreichende Zusagen gemacht, wie viele Pkw- und Lkw-Motorblöcke bis 2020 zu welchen Preisen bestellt werden. Zudem versprach der Konzern die Hälfte der kalkulierten 1,3 Millionen Guss-Blöcke pro Jahr für Diesel-Automotoren nach 2020 an die NHG zu vergeben. „Halberg wird mit 50-prozentigem Quotenanteil, sprich 650 000 Einheiten, bei der Vergabe der Gesamtmenge berücksichtigt“, heißt es in dem VW-Schreiben an die SDL. Nach SZ-Informationen zeichnete sich aber Ende vergangenen Jahres ab, dass VW die versprochenen Mengen nicht abnehmen würde. Die rückläufige Diesel-Nachfrage schlug durch. Schlimmer noch, angeblich soll VW den verbleibenden Bedarf bei einem NHG-Konkurrenten bestellt haben. Zudem kündigte VW an, in Schweden für Scania eine Gießerei zu bauen und einen Teil der Motorblöcke selbst zu fertigen.

Die absehbar einbrechende Auftragslage soll Beobachtern zufolge dazu geführt haben, dass die SDL Schwierigkeiten hatte, die weitere Finanzierung der NHG auf sichere Füße zu stellen. Der überraschende Verkauf an die Prevent-Gruppe soll darin seinen Grund gehabt haben. Mit anderen Worten: Ende 2017 zeichnete sich ab, dass VW, der wichtigste Kunde der NHG, über kurz oder lang ausfallen könnte. Bei Prevent habe man diese Risiken durchaus gesehen, sagt Arslan, aber das hohe Potenzial der NHG sei ausschlaggebend für den Kauf gewesen.

Die Befürchtung, dass VW Aufträge stornieren könnte, bestätigte sich nach Auffassung der Prevent-Manager  im März. „Ich wurde in Kenntnis gesetzt, dass die Preiszusage nur für den alten Gesellschafter gilt“, aber eben nicht für eine Prevent-Tochter, sagt NHG-Geschäftsführer Barbaros Arslan. Auch die der SDL zugesagten Abnahmemengen seien infrage gestellt worden. VW habe später zwar  versichert, doch die mit SDL vereinbarten höheren Preise zu zahlen – aber nur bis zum 30. Juni. Prevent habe daraufhin angesichts dieser Unsicherheiten die Forderungen an VW erhöht, und zwar um den Betrag, der sich aus den der SDL versprochenen Aufträgen bis 2020 ergab, hochgerechnet auf die Zeit bis zum 30. Juni, erläutert Arslan. Eben für den Fall, dass danach VW nichts mehr bestellt. Diese Aufrechnung deutet VW als willkürliche Preiserhöhung um bis zu das Zehnfache (wir berichteten). Arslan sagt dagegen: „Das ist keine Preiserhöhung“, sondern eine berechtigte Forderung, die sich aus den Zusagen ergibt. Für ihn steht fest: Bei VW hat man schon lange vor dem Einstieg von Prevent darüber nachgedacht, die Aufträge an NHG zu reduzieren und schließlich ganz zu stornieren.  „Mit Prevent wurde das nur beschleunigt.“ 

VW hat aus seiner Sicht die Lösung des Streits in der Hand: „Wir wollen verbindliche Aussagen über Laufzeit und Menge und faire Konditionen, die ja schon vereinbart wurden.“ Alles, was VW dem früheren Eigner SDL versprochen hat, soll weiterhin gelten und in einem Liefervertrag festgehalten werden – nicht wie bisher in einseitigen, unverbindlichen Ankündigungen von VW. Dann, so ist zu folgern, könnte Prevent auf die aus Sicht von VW überzogenen Forderungen verzichten. Die Preise könnten wieder sinken. NHG-Manager Gerstung hält eine Einigung mit VW durchaus für möglich. „Ich begrüße ausdrücklich das Vermittlungsangebot des Landes“, sagte er. Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) hatte angeboten, ein Gespräch zwischen VW und Prevent anzubahnen. „Der Streit muss zum Wohle des Standorts bereinigt werden“, sagt Gerstung.

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