Ich, eine Marionette? Über die Rolle des Unbewussten

Saarbrücken · Sind unsere Entscheidungen wirklich die bewusst eigenen? Oder zieht das Unbewusste heimlich seine Fäden? Darum tobt seit langem eine Debatte – Philosoph Philipp Hübl fasst sie zusammen.

Das weiß doch jeder: Wichtige Entscheidungen wollen gut überlegt sein! Am besten wägt man gründlich ab. Oder folgt doch besser seinem Bauchgefühl? Das behauptet der niederländische Psychologe Ap Dijksterhuis: "Je komplizierter die Wahl, desto unbewusster sollte man sich entscheiden." Dijksterhuis avancierte mit dieser steilen These zu einem der bekanntesten Psychologen der Gegenwart.

Für den Stuttgarter Philosophen Philipp Hübl sind Forscher wie Dijksterhuis oder auch sein Kollege Gerd Gigerenzer, der die "Intelligenz des Unbewussten" entdeckt haben will, exemplarisch. Weil sie zeigen, wie erfolgsträchtig es heute sein kann, als Wissenschaftler möglichst provokante Behauptungen über die angebliche Macht unbewusster Faktoren aufzustellen. Die mediale Aufmerksamkeit ist dann schon fast garantiert.

Dabei arbeiten die wenigsten der von Hübl kritisierten Forscher mit einem klaren Begriff vom Bewusstsein oder von seiner "kleinen Schwester", der Aufmerksamkeit. Aber wo steckt das "Unbewusste" eigentlich? Sigmund Freud suchte es in unseren verdrängten Wünschen und Leidenschaften, seine Nachfolger fanden es unter anderem in der Sprache, der Tiefenstruktur der Grammatik, die unser Denken bestimme. Oder in der Gesellschaft, die unser Verhalten präge. Und neuerdings im Gehirn, den Neuronen, die schon feuern sollen, bevor das Ich seine bewusste Entscheidung gefällt hat.

Wo auch immer das Unbewusste gesucht wird, die Argumentation ist immer gleich, betont Hübl: Das klassische Menschenbild vom autonomen Subjekt sei falsch, behaupten die "Jünger des Unbewussten", das Ich sei nur eine Marionette, etwas anderes ziehe die Fäden. Die Konsequenz: Wer glaubt, der Mensch sei nicht frei, sondern determiniert, stellt somit Ethik und Moral in Frage. Und unser Rechtssystem: Der Hirnforscher Gerhard Roth etwa hält den freien Willen für eine "nützliche Illusion" und fordert ein Strafrechtssystem ohne Schuldprinzip, das primär auf Therapie setzt.

Warum einen diese Thesen nicht beunruhigen müssen, zeigt Hübl überzeugend auf: Forscher wie Roth oder Dijksterhuis ziehen aus Einzelfällen unzulässige Verallgemeinerungen oder übertreiben mit ihren Folgerungen maßlos. Unbefriedigend fällt dagegen - ausgerechnet - Hübls Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse aus: Wer glaubt, dass man aus Träumen bloß die Funktionsweise des assoziativen Gedächtnisses erfährt, der sollte sich einmal auf die Couch eines Analytikers legen. Und sei es nur aus experimentellen Gründen.

Philipp Hübl: Der Untergrund des Denkens. Eine Philosophie des Unbewussten. Rowohlt, 480 Seiten, 19,95 Euro.

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