„Hochschule muss raus ins Leben“

Saarbrücken · Die Hochschulen müssen Querdenker fördern, sich stärker auf die Bedürfnisse der Wirtschaft ausrichten und sich deutlich häufiger an öffentlichen Diskussionen beteiligen. Dafür plädierten Teilnehmer des Festkolloquiums zum 75. Geburtstag von August Wilhelm Scheer.

 Glückwünsche für den Jubilar. Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und Henning Kagermann (rechts) gratulieren August Wilhelm Scheer zum 75. Geburtstag. Foto: Becker & Bredel

Glückwünsche für den Jubilar. Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und Henning Kagermann (rechts) gratulieren August Wilhelm Scheer zum 75. Geburtstag. Foto: Becker & Bredel

Foto: Becker & Bredel

. "Man muss Regeln brechen. Wenn man alles akzeptiert, dann gibt es keinen Fortschritt und es geht auch nicht weiter." Mit diesen Worten forderte August Wilhelm Scheer am Samstag an der Saar-Uni auf dem Festkolloquium zu seinem 75. Geburtstag mehr mutige Persönlichkeiten, die quer denken und eingefahrene Bahnen verlassen. Das gelte auch für die Verantwortlichen an den Hochschulen.

Dort haben immer noch die Bewahrer und Verhinderer meist die Überhand, betonte als einer der Gratulanten Henning Kagermann , bis 2009 Vorstandssprecher der SAP. Scheer kennt ihn aus seiner Zeit im SAP-Aufsichtsrat. Kagermann fordert, neben der Forschung und Lehre auch den Transfer als dritte Säule an den Hochschulen mit einem entsprechenden Leitbild zu verankern. Denn die Hochschulen müssten sich deutlich stärker an den praktischen Bedürfnissen des Arbeitsmarktes und der Wirtschaft orientieren. "Wenn die Hochschule nicht für die Wirtschaft da ist, dann frage ich mich, wofür sie überhaupt da ist", sagt Kagermann. Seine Forderung deshalb: "Die Hochschule muss raus ins Leben." Dazu gehöre auch, dass sich mehr Hochschulprofessoren mutig in öffentliche Diskussionen einbringen und selbst Argumente liefern in Debatten, die der normale Bürger führt. "Sie sollen zur Meinungsbildung der Öffentlichkeit beitragen, auch aufklären, etwa in Fragen der Energie- und Klimapolitik", so Kagermann. Dabei müssten sie aber auch den Mut zeigen, eventuelle Kritik von Hochschulkollegen zu ertragen. Eine interessante Frage sei heute etwa, wie schnell man Umweltbelange durchsetzen kann, ohne die Industrie zu überfordern.

"Weiterbildung verschlafen"

Auch der nach zehn Jahren scheidende amtierende Präsident der Saar-Universität, Volker Linneweber , räumt in seiner Rede Versäumnisse in der Hochschullandschaft ein, die eigene Uni nicht ausgenommen. So habe man den Markt der Weiterbildung verschlafen und es versäumt, Angebote zu unterbreiten, die auch Nicht-Hochschulberechtigte nutzen können, etwa Module, die es ermöglichen, besser einen Abschluss zu machen oder sich weiter zu qualifizieren. Solche Angebote müssten die Hochschulen viel stärker anbieten.

Doch auch Linneweber räumt ein: "Wir haben viele strukturkonservative Elemente an der Hochschule, die das alles für Teufelszeug halten." Diese würden lieber zurückkehren in das System der sechziger Jahre. Linnewebers Plädoyer: "Wir müssen abkommen von starren Strukturen, uns öffnen und hinwenden zu Neuem." Auch Saar-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer , gleichzeitig Wissenschaftsministerin, wünscht sich mehr Persönlichkeiten wie August Wilhelm Scheer . "Der verharrt nicht im Elfenbeinturm, sondern bringt sich in die politische Diskussion im Bund wie im Land ein." Gerade gestalte er den IT-Gipfel der Bundesregierung mit, der Ende 2016 im Saarland stattfindet. Digitale Bildung solle der Schwerpunkt werden. Nach Überzeugung von Kramp-Karrenbauer ist dies "eine der Schlüsselfragen für die Informationstechnologie der Zukunft".

Zur Stärkung des Rufs der Saar-Uni, in der Bevölkerung wie über die Landesgrenzen hinaus, gehöre auch, dass sich Senat und Universitätsrat auf einen Kandidaten für die Nachfolge von Präsident Linneweber einigen. Die Politik habe der Hochschule ein hohes Maß an Autonomie eingeräumt. Jetzt dürfe die Hochschule diese nicht zurückgeben an die Politik. Sie selbst wolle die Entscheidung nicht treffen.

Das Festkolloquium für den ehemaligen Hochschul-Professor sowie aktiven Unternehmer mit acht Unternehmen in der Scheer Holding und 1000 Mitarbeitern richteten ehemalige Studenten und Wegbegleiter aus. Zu den über 200 Gratulanten gehörte auch Alexander Pocsay, früher Vorstand der IDS Scheer AG. "Dein Blick ist immer nach vorne gerichtet", sagt er. Und fügt hinzu: "Das Telefon ist eins Deiner Lieblingsgeräte." So als wäre es abgesprochen, meldet sich mitten in der Dankesrede von Scheer seine Apple-Watch mit Nachrichten. Es warten wohl schon wieder Herausforderungen.

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