Interview Rolf Bürkl Steuersenkung hat noch Ladehemmung

Berlin · Das erhoffte Umsatzplus im Handel lässt auf sich warten. Der Konsumforscher erwartet größere Effekte zum Jahresende.

 GfK-Konsumforscher Rolf Bürkl hätte eher auf Konsumgutscheine als auf Steuersenkungen gesetzt.

GfK-Konsumforscher Rolf Bürkl hätte eher auf Konsumgutscheine als auf Steuersenkungen gesetzt.

Foto: GfK SE

Der Umsatz im Einzelhandel ist nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Juli um 0,9 Prozent gegenüber dem Vormonat gesunken. Dabei hatten Fachleute mit einem Anstieg gerechnet, denn seit dem 1. Juli gilt die reduzierte Mehrwertsteuer. Rolf Bürkl, Experte beim Konsumforschungsunternehmen GfK in Nürnberg, geht davon aus, dass die Maßnahme zur Abmilderung der Corona-Folgen ihre Wirkung noch entfalten wird.

Herr Bürkl, verpufft die Mehrwertsteuersenkung?

BÜRKL Eine solche Einschätzung halte ich für verfrüht. Man muss ja auch sehen, dass der Einzelhandels-Umsatz im Juli höher war als vor der Corona-Krise. Auch hatten wir bereits im Mai schon wieder ein Umsatzplus von 13,2 Prozent. Im Vorjahresvergleich haben wir jetzt ebenfalls deutliche Zuwächse, auch wenn davon nur bestimmte Branchen profitieren.

Welche sind das?

BÜRKL Alle Branchen, die sich gewissermaßen mit einer stärkeren Fokussierung auf die eigenen vier Wände verbinden. Dank Homeoffice haben Lebensmittelkäufe stark zugelegt, was umgekehrt zulasten von Restaurants geht. Auch die Möbel- und Heimelektronik-Branchen profitieren. Denn wenn die Leute mehr zu Hause sind, dann wollen sie es dort auch schön haben beziehungsweise mit moderner Technik arbeiten. Gerade im Möbelbereich wird allerdings mit sehr hohen Rabatten gearbeitet, sodass die Mehrwertsteuersenkung um drei Prozentpunkte hier weniger ins Gewicht fällt.

Gibt es die politisch erhofften Vorzieheffekte? Die Umsatzsteuersenkung von 19 auf 16 Prozent gilt ja nur bis zum Jahresende.

BÜRKL Nach einer GfK-Befragung vom Juni wollten 30 Prozent der Verbraucher deshalb Anschaffungen tätigen oder vorziehen. Bei Autos und Einrichtungsgegenständen lässt sich das durchaus beobachten. Die Erfahrungen zeigen aber auch, dass große Anschaffungen eher unmittelbar vor dem Auslaufen der Senkungsmaßnahme getätigt werden.

Welche Erfahrungen sind das?

BÜRKL Ich erinnere an das Jahr 2006. Damals kam es zum Jahresende zu einem spürbaren Konsumanstieg, weil Anfang 2007 eine Mehrwertsteuererhöhung in Kraft trat. Ich gehe davon aus, dass sich dieses Szenario jetzt wiederholt und der Konsum im vierten Quartal dieses Jahres merklich anziehen wird.

Also hat die Regierung alles richtig gemacht?

BÜRKL Das ist schwer zu sagen. Im Saldo ist der Effekt der Mehrwertsteuersenkung sehr überschaubar. Denn was an Anschaffungen auf dieses Jahr vorgezogen wird, kann nicht im kommenden Jahr konsumiert werden. Als 2007 die Umsatzsteuererhöhung in Kraft trat, ist die Anschaffungsneigung sofort wieder auf das frühere Niveau abgestürzt. Wenn man den privaten Verbrauch hätte wirklich kräftig ankurbeln wollen, dann wären zeitlich befristete Konsumgutscheine die bessere Alternative gewesen. Denn dadurch hätte der Einzelhandel tatsächlich Eins-zu-eins beim Umsatz profitiert.

Es gibt bereits Stimmen, die für eine Mehrwertsteuersenkung über 2020 hinaus plädieren. Was halten Sie davon?

BÜRKL Das hängt auch von der konjunkturellen Lage ab. Gegenwärtig sieht es danach aus, dass die Wirtschaft im kommenden Jahr wieder Fahrt aufnehmen wird. In diesem Fall wäre eine Fortsetzung der Mehrwertsteuersenkung unnötig, zumal sie den Staat teuer zu stehen kommt. Die Schulden sind jetzt schon immens. Da sollte man nicht noch mehr anhäufen, wenn es nicht unbedingt notwendig ist.

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