Flexiblere Arbeitszeiten in Sicht

Berlin · Nachmittags früh aus dem Büro – und dann später am Abend zu Hause noch fertigarbeiten. So etwas ist heute bei vielen Arbeitgebern nur schwer möglich. Das soll sich ändern – zumindest probeweise.

In einer zweijährigen Experimentierphase will Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD ) flexibleres Arbeiten in Deutschland erleichtern. Dazu plant sie eine Öffnungsklausel im Arbeitszeitgesetz , wie Nahles der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte.

"Wenn die Tarifpartner sich einigen, kann man den Rahmen der bestehenden Gesetze öffnen", so Nahles. "Aber nur unter zwei Bedingungen: zwei Jahre befristet, wissenschaftlich begleitet und tarifvertraglich abgesichert."

Dazu solle eine "Experimentierklausel" vom Bundeskabinett verabschiedet werden. "Ich bin sicher, dass nächstes Jahr der Startschuss kommt." Geändert werden solle das Arbeitszeitgesetz allenfalls, "wenn die Experimentierphase ergibt, dass das sinnvoll und notwendig ist". Tarifpartner sollten vereinbaren können, für welche Gruppen und unter welchen Bedingungen Öffnungen denkbar seien. Nahles führte Bosch als Beispiel an: "Dort wollten Mitarbeiter früher nach Hause - zum Abendessen und Gute-Nacht-Geschichten-Vorlesen - und dafür freiwillig nach 20 Uhr weiterarbeiten, aber der Arbeitgeber wollte nicht die fällige Spätschichtzulage zahlen." Per Betriebsvereinbarung habe man den Wegfall der Zulage bei freiwilliger Abendarbeit ermöglicht.

Heute geht das Arbeiten zu Hause (Home Office) oft noch mit nachteiligen Bedingungen für Arbeitnehmer einher. Das zeigt eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion: Freizeitausgleich für Mehrarbeit gibt es bei mehr als jedem Zweiten, der nur im Betrieb im Job ist - aber nur bei 39 Prozent der Menschen, die auch regelmäßig von zu Hause aus arbeiten.

Mit einem neuen "Weißbuch Arbeiten 4.0" werde sie Ende November ihre Vorschläge zur Wahlarbeitszeit in die Ressortabstimmung innerhalb der Regierung geben, kündigte Nahles an. "Das beinhaltet auch das Rückkehrrecht aus der Teilzeit in die frühere Arbeitszeit ." Das Arbeitsvolumen von Frauen sei unterdurchschnittlich - viele wollten aber mehr arbeiten. "Ergänzt wird das Gesetz um die Möglichkeit, über die Lage der Arbeitszeit mit dem Arbeitgeber zu verhandeln."

Dem "Weißbuch Arbeiten 4.0" ging eine mehrmonatige Debattenphase voraus, die Nahles angeregt hatte. Gewerkschaften, Arbeitgeber , Verbände und Wissenschaftler beteiligten sich an der Diskussion, wie sich Arbeiten in der Digital-Ära ändert. Erst in der vergangenen Woche forderte die kaufmännische Direktorin von Bosch in Homburg, Karin Gilges, eine neue Vertrauenskultur gegenüber Mitarbeitern. Neue Technologien ermöglichten auch, dass Menschen häufiger ihre Arbeit von zu Hause aus erledigen.

Meinung:

Längst überfällig

Von SZ-Redakteur Thomas Sponticcia

Die Digitalisierung mit all ihren Möglichkeiten verändert nicht nur Arbeitsabläufe in Unternehmen, sondern auch Arbeitszeiten. Daran führt kein Weg vorbei. Deshalb macht auch das Vorhaben von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD ) Sinn, Öffnungsklauseln im Arbeitszeitgesetz in der Praxis zu erproben. Das sollte Beschäftigten mehr Möglichkeiten bringen, flexibler, vor allem aber selbstbestimmter zu arbeiten. Und es wird Unternehmen auszeichnen, die Wünsche danach erfüllen. Schließlich ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein Top-Kriterium für die Wahl des Arbeitgebers.