Falstaff und die Vorstadtweiber

Saarbrücken · Klug und vergnüglich hat Johannes Pölzgutter Verdis späte Komödie „Falstaff“ am Saarbrücker Theater inszeniert. Und der überragende Olafur Sigurdarson hat nach dieser Premiere eine Paraderolle mehr.

 Noch was zum (Ver-)Naschen? Mrs. Quickly (Judith Braun) weiß, wie man Falstaff (Olafur Sigurdarson) ködert. Foto: Thomas M. Jauk

Noch was zum (Ver-)Naschen? Mrs. Quickly (Judith Braun) weiß, wie man Falstaff (Olafur Sigurdarson) ködert. Foto: Thomas M. Jauk

Foto: Thomas M. Jauk

Der Mann schlägt ein wie eine Bombe. Krach!, plumpst Falstaff, pardon Sir John Falstaff, so viel Zeit muss doch sein, von der Decke und klafft den Boden auseinander; Regisseur Johannes Pölzgutter weiß offenbar, wie man die Aufmerksamkeit anstachelt.

Getan hat Falstaff sich nichts. Genug Prallfläche halt, die sich der Ritter von der schlemmenden Gestalt mit Hingabe über Dekaden angefressen, angesoffen hat. Die fleckigen Relikte seiner Bacchanale trägt er stolz auf dem bebenden Wanst. Kostümbildnerin Janina Ammon hat Olafur Sigurdarson in eine Art Riesenstrampler gepackt. Und der Isländer fühlt sich darin pudelwohl. Er falsettiert, grimassiert und rülpst, dass es für ihn und uns zum reinsten Komikschmaus wird. Wie man ja auch bei seinem Bariton beinahe kulinarische Freude am Zuhören hat, so wunderbar geschmeidig, volltönend singt er, stürmt aber auch keck die Höhen. Keine Frage, das ist seine Rolle. Auch seine Rolle, muss es heißen, denn ob "Rigoletto" oder "Holländer", Sigurdarsons Auftritte sind stets kostbar.

Eigentlich aber dürfte dieser alte Vielfraß ja gar nichts zu lachen haben. Seine Kasse ist nämlich auf Null-Diät. Sein Personal, Pistola (Markus Jaursch) und Bardolfo (köstlich Manuel Horras als halbfette Kopie seines Herrn), lässt es auch zu oft krachen. Und so spinnt Falstaff die verwegene Idee, Damen aus dem Städtchen Windsor zu becircen, auf dass die ihm seinen Geldbeutel füllen und sich nebenbei noch vernaschen lassen.

Von Alice Ford - mit gewohnt druckvollem und ausdrucksstarken Sopran: Yitian Luan - und Meg Page (Carolin Neukamm) hätte der völlernde Rittersmann aber wohl besser die Törtchenfinger gelassen. Mit den zänkischen Weibern von Windsor war schon bei Shakespeare nie zu spaßen - dessen Konterfei wird von Falstaff auch mal kräftig traktiert: Das Geschöpf begehrt gegen seinen Dichter auf; eine der vielen klugen Ideen Pölzgutters.

Dieser schickt Alice, Meg, Mrs. Quickly (hübsch biestig und intrigant Judith Braun) und Co. als Desperate Houswives auf die Bühne. Vorstadtmegären, die, wenn sie den Tag nicht mit Yoga oder der Kontrolle ihre Putzhilfen zubringen, nur darauf sinnen, wie man Falstaff und dem ein oder anderen notorisch eifersüchtigen Ehemann (überzeugend: James Bobby als Ford) gleich mit eins drüber gibt.

Pölzgutter hat diesen vorstädtischen Kleinkrieg zusammen mit Bühnenbildner Rainer Sellmaier in einen gigantischen Setzkasten einsortiert. Box für Box eine eigene Welt. Was Sänger und den souveränen Chor aber nicht daran hindert, rauf und runter, kreuz und quer die Szenerie aufzumischen. Wobei der Wiener Regisseur seinen aufgekratzten Damen bisweilen gerne noch mehr Zucker hätte geben könnte.

Köstlich allerdings, wie Pölzgutter vor diesen ganzen abgeliebten und eifersüchtelnden Älteren das junge Glück von Fenton (mit innig-schönem Tenor: Carlos Moreno Pelizari) und Nanetta absetzt, zu der Herdis Anna Jonasdottirs feiner, glockenheller Sopran ideal passt. Ihrer beider Schäferminütchen sind auch deshalb so liebevolle Miniaturen, weil Dirigent Nicholas Milton mit dem Staatsorchester diese Momente sehr behutsam kultiviert, Kontrast schafft zu dem Trubel der vielen Ensembleszenen, aus denen Verdi sein Alterswerk so einzigartig komponierte. Auch da behält Milton souverän den Überblick, auch wenn der Klang manchmal noch sehr robust gerät. Vielleicht braucht es ja noch ein, zwei Aufführungen, bis die Komödie aus dem Graben genauso beschwingt tönt, wie auf der Bühne gespielt und gesungen wird.

Weitere Aufführungen: 18. und 23. Juni; 1., 5., 12. und 17. Juli. Karten unter Tel. (06 81) 3 09 24 86.

Die überzeugende "Falstaff"-Premiere am Samstagabend war auch die letzte Produktion, die Operndirektorin Brigitte Heusinger hier verantwortete. Sie wechselt, nach vier Spielzeiten in Saarbrücken, nach Luzern, wird dort Vize-Intendantin (wir berichteten). Generalintendantin Dagmar Schlingmann, die selbst 2017 das Saarländische Staatstheater Richtung Braunschweig verlässt, verabschiedete Heusinger nach dem Schlussvorhang auf der Bühne.

Heusinger habe immer wieder "hoch interessante Produktionsteams nach Saarbrücken geholt", sei aber auch als Dramaturgin geschätzt, dankte ihr Schlingmann. In Heusingers Zeit hier fiel die Nominierung der Saarbrücker "Werther"-Produktion für den Theaterpreis "Faust". Auch die schwierige, aber erfolgreiche Phase, als die Bühnentechnik des Großen Haues saniert wurde, bestimmte Heusinger entscheidend mit.

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