Folge der Diesel-Affäre EU will Weg zu Sammelklagen ebnen

Brüssel · Verbraucher sollen in der EU mehr Rechte erhalten, um gegen Konzerne Schadenersatzansprüche leichter durchsetzen zu können.

 Der Abgas-Skandal bei VW hatte den Ruf nach der Möglichkeit von Musterklagen lauter werden lassen.

Der Abgas-Skandal bei VW hatte den Ruf nach der Möglichkeit von Musterklagen lauter werden lassen.

Foto: picture alliance / dpa/Patrick Pleul

Als Konsequenz aus der Diesel-Affäre, bei der Millionen geschädigte Autokäufer in Europa leer ausgingen, will die EU-Kommission die Rechte von Verbrauchern stärken. EU-Justizkommissarin Vera Jourova schlägt dafür ein Paket an Maßnahmen mit dem Titel „New Deal für Verbraucher“ vor. Das Kernstück: Die EU will in der ganzen Union Sammelklagen von geschädigten Verbrauchern ermöglichen. Bislang ist dies nur in einigen Ländern möglich. Jourova will in der EU aber keine Sammelklagen nach dem Vorbild der USA erlauben und erteilt einer Klageindustrie wie in den USA eine Absage: Sie setze in der Sache vielmehr auf „den europäischen Weg“. Es gehe um „mehr Gerechtigkeit für Verbraucher, nicht um mehr Geschäft für Anwaltskanzleien“.

Die Kommission schlägt vor, dass Verbraucherschutzverbände kollektiv für Geschädigte Wiedergutmachung erstreiten können. Diese Organisationen müssten klare Kriterien erfüllen: So dürfen sie nicht gewinnorientiert arbeiten und müssen als klageberechtigt von den Behörden eines Mitgliedstaates anerkannt sein. Sie müssen Rechenschaft darüber ablegen, woher sie die finanziellen Mittel für eine Sammelklage haben. Außerdem solle eine Sammelklage erst dann rechtlich möglich sein, wenn ein nationales Gericht oder eine Behörde eindeutig einen Rechtsbruch durch ein Unternehmen festgestellt hat. So solle Missbrauch des neuen Instruments etwa durch ein konkurrierendes Unternehmen ausgeschlossen werden. Die EU-Kommission will auch dafür sorgen, dass sich Verbraucher in der EU länderübergreifend für eine Sammelklage zusammenschließen können.

Die Kommission plant dabei  empfindliche Strafen für Unternehmen, die Verbraucherrechte verletzen. Künftig sollen Unternehmen mit einer Buße in Höhe von vier Prozent des jährlichen Umsatzes in einem jeweiligen Mitgliedsland zur Kasse gebeten werden können. Die Mitgliedsländer sollen die Bußen festsetzen und dabei selbst entscheiden können, ob sie über die Vier-Prozent-Marke hinausgehen wollen. Derzeit variieren die möglichen Bußen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat: In Litauen werden Unternehmen, die Verbrauchertäuschung begehen, höchstens mit einer Geldstrafe von 8688 Euro belegt, in Frankreich, Polen und den Niederlanden werden dagegen bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes fällig. Jourova erklärt: „Mit härteren Sanktionen bekommen die Verbraucherschutzbehörden endlich die Zähne, um die Betrüger zu bestrafen. Es darf nicht billig sein, zu betrügen.“

Mit dem Kommissionsvorschlag ist die Sammelklage aber noch nicht beschlossene Sache. Die Mitgliedstaaten und das EU-Parlament müssen als Co-Gesetzgeber noch zustimmen. Bereits jetzt regt sich Widerstand. Andreas Schwab (CDU), Binnenmarktexperte, spricht sich zwar „angesichts der jüngsten Skandale“ eindeutig dafür aus, Schadenersatzansprüche von Verbrauchern neu zu regeln. Er geht aber auf Distanz zu den Vorschlägen Jourovas: „Mit der Einführung von Sammelklagen betritt die EU-Kommission Neuland.“ Es werde einer großen Energieleistung bedürfen, das Paket „auf die europäischen Bedürfnisse zuzuschneiden und noch vor den Europawahlen 2019 abzuschließen“.

Die Wirtschaft ist alarmiert. Der deutsche Industrieverband BDI sieht durch die Vorschläge den Rechtsfrieden bedroht. „Sammelklagen schaden unserem fairen Rechtssystem massiv“, heißt es in einer Mitteilung.

In Deutschland laufen allerdings unabhängig von der EU die Vorbereitungen für eine „Musterfeststellungsklage“. Ein Gesetzentwurf steckt in der Ressortabstimmung, das Kabinett soll ihn möglichst im April beschließen. Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass das neue Instrument zum 1. November in Kraft sein soll, damit angesichts drohender Verjährungen auch Betroffene des VW-Abgasskandals von der Regelung Gebrauch machen können.

Konkret sollen demnach Musterfeststellungsklagen möglich sein, wenn mindestens zehn Verbraucher ihre Betroffenheit glaubhaft machen und sich binnen zwei Monaten 50 in einem Register anmelden. Klagebefugt sollen nur „qualifizierte Einrichtungen“ wie Verbraucherverbände sein. Sie könnten in Musterprozessen strittige Fragen grundsätzlich klären, danach müsste jeder Verbraucher seine konkreten Ansprüche in einem individuellen Prozess geltend machen.

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