Einigung möglich, Gipfel geplatzt

Brüssel · Bei den Ceta-Verhandlungen sprechen alle von Fortschritten, aber sicher ist nur: Heute wird kein Vertrag unterschrieben. Der kanadische Premierminister kann dafür aber vielleicht in der nächsten Woche anreisen.

 Die Ceta-Gegner bedankten sich gestern bei der Wallonie für deren Widerstand. Foto: Kumm/dpa

Die Ceta-Gegner bedankten sich gestern bei der Wallonie für deren Widerstand. Foto: Kumm/dpa

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Auf das erlösende Wort vom "Durchbruch" warteten die EU-Spitzen ebenso wie die kanadische Regierung auch gestern vergeblich. Zwar sah es am Mittag so aus, als könne der innerbelgische Streit um Ceta, das hart umkämpfte europäisch-kanadische Freihandelsabkommen, binnen weniger Stunden beigelegt werden. Doch die Hoffnung, dass Premierminister Justin Trudeau doch noch am Abend eine Maschine nach Brüssel nehmen könne, um Ceta heute zu unterschreiben, sank spätestens auf null, als der Chef der belgischen Föderation Wallonie-Brüssel, Rudy Demotte, feststellte: "Der geplante EU-Kanada-Gipfel ist am Donnerstag ganz klar unmöglich."

Dabei lag zu diesem Zeitpunkt längst ein Fünf-Punkte-Plan auf dem Tisch, der die wesentlichen Forderungen der belgischen Landesteile enthielt und den die EU-Kommission bereits gebilligt hatte. Er enthielt eine allgemeine Schutzklausel, die es dem Land möglich machen sollte, auch nach Inkrafttreten von Ceta wieder auszusteigen. Auseinandersetzungen zwischen Investoren und Ländern sollten vor einem internationalen Gericht stattfinden, das mit Berufsrichtern aus den Mitgliedstaaten besetzt werden muss. In der Landwirtschaft hatte man sich auf zusätzliche Schutzstandards für Verbraucher und Landwirte verständigt. So besteht Belgien auf einem Rücktrittsrecht auch von einzelnen Bestimmungen - beispielsweise der Zulassung eines Lebensmittels. Dazu wurde nochmals betont, was auch schon im Vertrag selbst sowie im Anhang, den die übrigen Mitgliedstaaten unterzeichnen wollen, festgehalten wird: Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sowie der Sozialversicherungsbereich sind bei Ceta tabu.

Damit soll das wallonische Parlament von seinem strikten Nein gegen den Vertrag mit Kanada abzubringen sein. Dem Vernehmen nach soll die Abstimmung schon heute Morgen stattfinden. Den Gipfel mit Trudeau könne man möglicherweise in der nächsten Woche nachholen. Selbst Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte noch gestern betont, eine Einigung sei wichtiger als die Einhaltung des Termins: "Wann dies geschieht, ist weniger wichtig, als dass es passiert." Und sogar EU-Ratspräsident Donald Tusk , der mit diversen Ultimaten gegenüber den Belgiern für eine Verschärfung des Widerstands gesorgt hatte, gab sich gestern zahm: "Ich hoffe immer noch, dass sich Belgien als Meister der Konsensbildung beweist und dass wir das Abkommen schnell abschließen können."

Tatsächlich standen auch die belgischen Verhandler unter Druck. Denn es begannen schon Spekulationen, wie man Ceta auch ohne belgische Zustimmung retten könnte. Überlegungen, das Abkommen ohne das Benelux-Land in Kraft zu setzen, bezeichnete der Chef des Handelsausschusses im Europäischen Parlament, Bernd Lange (SPD ) als "keine Option". Sehr wohl wurde aber darüber nachgedacht, Ceta zu zerlegen. In einen reinen handelspolitischen Teil, den die EU-Kommission beschließen und in Kraft setzen könne. Der zweite Teil mit Bestimmungen, die die nationale Verantwortung der Mitgliedstaaten berührt, hätte dann später nachgereicht werden müssen. Dass Belgien und seine Unterhändler dadurch blamiert worden wären, stand fest und sorgte für Hektik. Am Abend sah es danach aus, dass man auch die letzten Klärungen juristischer Art schaffen würde.

Meinung:

Verfehlte Strategie

Von SZ-Korrespondent Detlef Drewes

Der Streit mit der Wallonie belegt die verfehlte Verhandlungsstrategie von Kommission und Mitgliedstaaten. Spätestens als sich der Freihandelsvertrag konkretisierte, hätte man die Hinterzimmer verlassen und mit den Regionen reden können und müssen. Der Widerstand der Wallonie ist verständlich, war sie doch in der Vergangenheit mehrfach zum Opfer der Globalisierung geworden. Auch europäische Handelspolitik muss, selbst wenn sie zum alleinigen Mandat der EU-Kommission gehört, alle politischen Ebenen bis zur Region oder zur Kommune einbeziehen. Alle sollten beteiligt werden, aber dann auch ihre europäische Verantwortung annehmen.

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