Ein lebendiges Museum in Worten für eine ermordete Stadt

Saarbrücken · Als „Königin der Wüste“ legt die syrische Oasenstadt Palmyra Zeugnis für eine Jahrtausende alte Kultur ab. Der „IS“ hat eines der wichtigsten Baudenkmäler Palmyras, den Baal-Tempel, 2015 zerstört. Gerade haben syrische Truppen die Stadt und die archäologischen Stätten zurückerobert. Unwiederbringliches bleibt verloren. Ein „Requiem“ für die geschundene Stadt legt jetzt der französische Althistoriker Paul Veyne vor.

Paul Veynes Porträt der antiken Kultur- und Handelsmetropole hat er dem vom "IS" ermordeten Hüter der Ruinenstadt, Khaled al-Asaad, gewidmet. Der 82-jährige, langjährige Generaldirektor der Altertümer von Palmyra "hatte sich selbst unter der Folter geweigert, seinen Peinigern zu verraten, wo er die antiken Kunstwerke vor ihnen in Sicherheit gebracht hatte, in deren Besitz sie sich bringen wollten", erinnert Veyne an den wahren Helden von Palmyra.

In seinem mit 13 farbigen Fotos der antiken Bauwerke illustrierten, sich an ein breites Publikum wendenden Buch übernimmt Veyne die Rolle eines Stadtführers, der aus zwei Vergangenheiten erzählt: aus der jüngeren, als ein größeres Publikum die imposante Ruinenstadt noch besichtigen konnte, und aus einer älteren, damals belebten, quirligen antiken Metropole. Vor allem diese Erzählung vom Leben und Arbeiten vor Tausenden von Jahren bis in die spätrömische, später muslimische Zeit versetzt in eine erstaunliche Welt. Palmyra war nicht nur religiöses Zentrum, sondern auch blühende Handelsstadt zwischen der westlichen, römischen Welt und dem vor allem über Persien vermittelten asiatischen Teil der Welt. Das Buch beschreibt anschaulich das Leben in dieser Stadt, deren urbane Anlage vor der Zerstörung noch gut zu erkennen war.

Veyne, der seit 40 Jahren als Professor am Collège de France römische Geschichte unterrichtet, nimmt uns mit in die Ursprünge der Metropole lange vor unserer Zeitrechnung. Er eröffnet ein lebendiges Museum für eine ermordete Stadt. In erstaunlichen Details, soweit sie aus zahlreichen Quellen rekonstruierbar waren, schildert er, wie Palmyra funktionierte, woher sein Reichtum stammte. So erwähnt er eine chinesische Quelle, nach der die Kaufleute von Palmyra asiatische Luxusgüter mit zehnfachem Aufschlag an Reiche in Rom weiterverkauften. Er zeichnet nach, wie die Menschen dort wohnten, wie sie "mit den Göttern speisten", in welchen Sprachen sie sich verständigten, wie sie sich kleideten. So entstand ein Reiseführer ins Vergangene, eine mit profundem Wissen geschriebene Elegie für die geschändete "Königin der Wüste". Jenseits aller archäologischen Gelehrsamkeit ist dies ein Dokument für alle: ein trauriges, würdiges Erinnerungsbuch.

Paul Veyne: Palmyra. Requiem für eine Stadt. C.H.Beck, 127 S., 13 Farbabbildungen, 17,95 €.

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