Ein Boss weiß von nichts

Berlin · Lange Zeit galt Martin Winterkorn in der Autobranche als großer Strippenzieher. Im Untersuchungsausschuss beteuert der Top-Manager indes, vom Betrug bei Abgaswerten nichts gewusst zu haben.

Man kann nicht genau sagen, ob die Unwissenheit, die Martin Winterkorn im Abgas-Untersuchungsausschuss an den Tag legt, gespielt oder echt ist. Man weiß auch nicht, ob er das mit Absicht macht - oft nicht ins Mikro zu sprechen und viel zu nuscheln. Der Mann war Topmanager mit direktem Draht zur Kanzlerin und zum Verkehrsminister, er müsste mit allen Wassern gewaschen sein. Das ist die eine Seite der Medaille.

Auf der anderen Seite ist der frühere VW-Vorstandschef vor 15 Monaten von ganz oben nach ganz unten gefallen - Job weg, Macht weg, Reputation weg. Nur Geld ist noch da. Medien haben über seine angebliche Luxusrente von 3100 Euro pro Tag berichtet, von der Billigmiete für ein Anwesen und davon, dass VW auch noch einen beheizten Koi-Karpfen-Teich bezahlen soll. Im Ausschuss wirkt Winterkorn angeschlagen. Wie jemand, dem die Dinge entglitten sind. Zwei Anwälte begleiten den 69-Jährigen, einen riesigen schwarzen Lackkoffer hat er dabei, in dem sich aber augenscheinlich nur ein dunkles Mäppchen mit einem vorgefertigten Statement befindet. Wie früher trägt er einen dunklen Zweireiher, der klassische Winterkorn-Style. Früher - da war er der oberste Feldherr im VW-Konzern, dessen Vorstandsvorsitzender er 2007 wurde. Die Leute tanzten in Wolfsburg nach seiner Pfeife, wobei er im Ausschuss betont, "kein Schreckensregime" geführt zu haben. Er habe klare Worte geschätzt, aber sei niemals persönlich geworden. Seine Tür habe immer offen gestanden. Sein Markenzeichen sei "die Liebe zum Detail" gewesen.

Das ist der Knackpunkt. Kann es wahr sein, dass so einer erst Anfang September 2015 von manipulierten Abgaswerten bei Millionen VW-Dieselfahrzeugen erfahren haben will? Nachdem die Ermittlungen der US-Umweltbehörde öffentlich wurden? Kann so einer vorher nichts gewusst haben? Ja, macht Winterkorn mehrfach deutlich. "Das Undenkbare ist geschehen" - der Abgasbetrug mit einem noch nicht absehbaren Schaden für den Konzern sei an ihm vorbeigelaufen. Er, der einstige Mega-Manager, macht sich im Ausschuss ganz klein. Manch ein Abgeordneter schmunzelt, manch ein Zuhörer auf der Tribüne muss lachen.

Winterkorn behauptet auch, dass ihm der Begriff "Abschalteinrichtung" bis zur Veröffentlichung des Skandals nicht bekannt gewesen sei. Mit einer solchen Software lässt sich die Abgasbehandlung beim normalen Fahren ausschalten und nur bei Abgastests aktivieren. "Ich bin kein Software-Ingenieur", erklärt der Ex-Boss. "Das Thema ist bei mir nicht angekommen."

Zehn Jahre lang, wirft ihm der Grüne Oliver Krischer danach vor, sei aber auf europäischer Ebene und in der Branche über solche illegalen Einrichtungen diskutiert worden. Winterkorn stricke weiter an der "Legende", nichts gewusst zu haben. Auch der Ausschussvorsitzende Herbert Behrens (Linke) erklärt, das sei doch alle sehr "unwahrscheinlich". Er frage sich inzwischen schon, "was ein Vorstandschef eigentlich tut". Winterkorns Glaubwürdigkeit "ist etwas erschüttert".

Der Ausschuss will freilich klären, ob die Politik in den Skandal irgendwie verwickelt ist. Nicht, ob der frühere VW-Chef schuldig oder unschuldig ist. Dazu ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig, die Winterkorn und anderen VW-Managern vorwirft, den Kapitalmarkt zu spät über die Dieselaffäre und mögliche Folgen für den Konzern informiert zu haben. Auf diese Ermittlungen verweist Winterkorn immer dann, wenn es zu heikel wird. Deshalb ist die Vernehmung auch schon nach zwei Stunden beendet. Einer von seinen Anwälten nickt Winterkorn am Schluss anerkennend zu. Alles nur gespielt - oder doch echt? Man weiß es nicht.

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