Diesel-Debatte Droht ein Flickenteppich von Fahrverboten?

Berlin/Saarbrücken · Das Diesel-Urteil hat Bund, Länder und Kommunen aufgeschreckt. Die Frage ist, wie sich Beschränkungen für Autofahrer noch vermeiden lassen.

 Am Tag nach dem Urteil der Bundesrichter zeigt die Hamburger Umweltbehörde, wie ein Verkehrsschild für Fahrverbote aussehen könnte.

Am Tag nach dem Urteil der Bundesrichter zeigt die Hamburger Umweltbehörde, wie ein Verkehrsschild für Fahrverbote aussehen könnte.

Foto: dpa/Jan Dube

Nach dem Urteil über mögliche Fahrverbote für Millionen von Diesel-Autos wird die Debatte über ein schlüssiges Gesamtkonzept für saubere Luft schärfer. Die Sorge vor einem „Flickenteppich“ aus Verboten wächst, weil jede Stadt mit einem anderen Plan und unterschiedlichen Einschränkungen reagieren könnte. Die Folgen für Autofahrer, Anwohner und Autobauer bleiben unübersichtlich.

Für Antworten, wie es weitergeht, richten sich viele Blicke nach Berlin. Regierungssprecher Steffen Seibert ließ überraschend durchblicken, dass sich sogar in der umkämpften Frage einer „blauen Plakette“ etwas tun könnte. „Das Thema wird in der neuen Bundesregierung alsbald aufgegriffen werden.“ Die bundesweit einheitlichen Aufkleber würden es erleichtern, Verbote zu organisieren. Umweltschützer und Kommunen wollen das schon lange, damit es keinen Flickenteppich gibt, beißen aber im Verkehrsministerium auf Granit. Die Bundesregierung werde mit Ländern und Kommunen beraten, kündigte Seibert an. Die Sorge, dass ein „Flickenteppich“ von Fahrverboten entstehen könne, werde man „aufnehmen und prüfen“. Ziel sei, Beschränkungen wo immer möglich zu vermeiden.

Die Leipziger Richter hatten am Dienstag entschieden, dass Diesel-Fahrverbote in Düsseldorf und Stuttgart erlaubt sind, wenn es der einzige Weg ist, EU-Grenzwerte schnell einzuhalten. Diese Urteile bezögen sich nur auf diese beiden Städte, sagte die Sprecherin. „Rechtlich gesehen gibt es eine Bindungswirkung nur für die Beteiligten.“

Die Hamburger Umweltbehörde hat nur einen Tag nach dem Urteil bereits ein Foto mit dem Entwurf für Fahrverbotsschilder getwittert. Sie sollen ebenso wie Schilder für Ausweichrouten in Kürze bestellt werden. In Hamburg müssen Autofahrer bereits in zwei Monaten mit Fahrverboten an zwei Durchgangsstraßen rechnen.

Aus Sicht mehrerer Länder lassen sich Fahrverbote zwar verhindern –  doch es droht eine Vielzahl von Prozessen und einzelnen Regelungen. Verschärfte Probleme mit Diesel-Abgasen haben rund 70 Städte. Aber wie stark der seit 2010 verpflichtende Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid (NO2) je Kubikmeter Luft überschritten wird, variiert beträchtlich. Da sind München und Stuttgart mit 78 und 73 Mikrogramm im Jahresmittel, wo es mit ein paar kleinen Regelungen nicht getan sein wird. Da sind aber auch knappe Überschreitungen wie mit 41 Mikrogramm in Essen und Regensburg, die auch ohne Fahrverbote in den Griff zu kriegen wären.

Besitzer älterer Dieselautos müssen nach Einschätzung des Kraftfahrzeuggewerbes wegen der drohenden Fahrverbote mit einem dauerhaften Wertverlust von bis zu 15 Prozent für ihr Fahrzeug rechnen.

Justizminister Heiko Maas (SPD) forderte in der „Rheinischen Post“  die Konzerne auf, die Finanzierung neuer Abgas-Hardware für die Autofahrer bei neueren Modellen zu übernehmen: „Wir erwarten von der Automobilindustrie, dass sie Euro-5- und Euro-6-Fahrzeuge technisch nachrüstet. Alleinige Software-Updates reichen nicht aus.“ Ähnlich äußerte sich auch Jochen Flackus, wirtschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion im saarländischen Landtag: „Die Konzerne müssen dazu gezwungen werden, die vollständige technische Umrüstung der betroffenen Diesel-Fahrzeuge zu bezahlen.“

Der Städte- und Gemeindebund sieht nun auf Städte und Autobauer eine Prozessflut zukommen. „Es besteht nicht nur die Gefahr einer ,Mammut-Fahrverbotsbürokratie’, sondern es ist auch eine Prozessflut zu befürchten, mit der sich betroffene Dieselfahrzeug-Besitzer, aber auch Anlieger von Straßen, die dann unter dem Umwegeverkehr leiden, zur Wehr setzen werden“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der „Rheinischen Post“.

Armin Gehl vom regionalen Branchennetzwerk Auto-Region hält die Aufregung über das Diesel-Urteil für überzogen. Wegen der Übergangsfristen sieht er von Fahrverboten hauptsächlich Diesel-Autos betroffen, die älter als zehn Jahre sind. Neuen Autos mit Euro-6-Norm drohten keine Verbote. Gehl plädiert dafür, dass Busse, Lieferfahrzeuge und Taxen möglichst schnell auf neue Techniken, zum Beispiel Gas- oder Elektroantriebe, umgestellt werden. Das seien schließlich die Fahrzeuge, die die meisten Kilometer in den Innenstädten zurücklegten. Gehl sieht die Autozulieferer in der Großregion wegen der sinkenden Nachfrage nach Diese-Autos nicht in Gefahr. Er appelliert an die Autokäufer: „Eine Zurückhaltung beim Diesel ist nachvollziehbar, aber nicht notwendig.“

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