Draußen vor der Tür: „Der Elefantenmensch“ in Saarbrückens Alter Feuerwache

Saarbrücken · Wie geht die Gesellschaft mit Menschen um, die ganz anders sind als sie – zumindest äußerlich? Das Stück „Der Elefantenmensch“ erzählt davon und hatte am Sonntag Premiere in Saarbrücken.

 Das erste saubere Hemd für den ausgestoßenen Merrick (Roman Konieczny). Foto: Thomas M. Jauk

Das erste saubere Hemd für den ausgestoßenen Merrick (Roman Konieczny). Foto: Thomas M. Jauk

Foto: Thomas M. Jauk

Er hinkt, er schnauft, röchelt. Und stinkt. John Merrick ist schuldlos aus der Welt gefallen, eine Krankheit hat seinen Körper grotesk verformt - nur unter dem Namen "Elefantenmensch" findet er einen Platz: beim Rummel, als Attraktion des Ekels, als Figur zum Fürchten - auch davor, was aus einem zuvor gesunden Körper werden kann. John Merrick gab es wirklich, der Brite starb 1890 im Alter von 27 Jahren, nach einem Leben fast ohne Zuwendung.

US-Autor Bernard Pomerance hat in den 70ern ein erfolgreiches Drama über Merrick geschrieben, das nun Michael Talke in Saarbrücken inszeniert hat - mit viel Atmosphäre und eindrücklichen Bildern. Die Grundfragen des Stücks sind naheliegend und beantworten sich selbst: Wer ist das Monster? Der begaffte Missgebildete oder die gaffende Gesellschaft, die sich in Angstlust ergeht? Sind wir alle Voyeure? Und fürchten wir reflexhaft das Fremde, das, was anders aussieht, anders klingt als wir selbst? Natürlich tun wir das.

Der Reiz des Theaterabends liegt denn auch weniger in den Thesen des Stücks, sondern in den Zwischentönen und in der atmosphäresatten Inszenierung. Barbara Steiners reduziertes, düsteres Bühnenbild erweckt ebenso ein karges Krankenzimmer wie ein dubioses Varieté zum Leben; Agathe MacQueens Kostüme erschaffen ein viktorianisches England, in dem die Hemden der Oberklasse gestärkt sind, alle anderen verschwitzt. Versehrt sind hier alle, die Haut kalkweiß geschminkt, nachtschwarz um die Augen.

In dieser Szenerie trifft der ehrgeizige Arzt Treves (Georg Mitterstieler) den Missgebildeten (Roman Konieczny) und nimmt ihn mit ins Krankenhaus. Aus Anteilnahme? Oder strikt aus medizinischem Interesse und aus Karriere-Kalkül? Mitterstieler hält das souverän in der Schwebe; sein Arzt ist, wenn auch auf andere Weise, eine ähnlich tragische Figur wie Merrick. Den spielt Konieczny über weite Strecken mit Maske; erst reagiert er auf die neue Welt abseits des Rummelplatzes mit linkischen Gesten, mit Kopfbewegungen wie ein Vogel, mit Krächzen.

Nach einer halben Stunde Bühnenzeit sagt er das erste Wort, die Sprache klart auf, er zitiert den Psalm 23, doch die Menschwerdung hat seine Grenzen. Die sogenannte bessere Gesellschaft (schwarzgewandete Voyeure, die ihn wie ein Vogelschwarm umschwirren) wird ihn nie akzeptieren, auch wenn er sich nobel kleidet und - eine todtraurige Geste - sich mit Wonne den Schädel kämmt, der völlig kahl ist.

Talke erzählt mit Verweisen an den Stummfilm, wenn die Figuren in wortlosen Szenen bewusst überzogen agieren mit stummen Mundbewegungen und dazu ein Klavier hämmert. Eine reizvolle Aufgabe für die Darsteller in mehreren Rollen (Yevgenia Korolov, Robert Prinzler, Klaus Müller-Beck und Marcel Bausch), die immer wieder zwischen gewollt übertriebenem und subtilem Spiel umschalten müssen. Tragikomisch wird es, wenn Gertrud Kohl (als Londoner Schauspielerin) mit Merrick über "Romeo und Julia" debattiert - und dabei dessen großes Herz entdeckt.

Am Ende, so viel muss verraten werden, nimmt Konieczny die Maske ab, wirkt nun wie der einzig Gesunde in einem Pulk der Leichenblassen. Überraschend wird Merrick diese Welt verlassen. War sie zu schlecht für ihn - oder er zu gut für sie? Stirbt er, weil sein Körper ausgelaugt ist - oder weil er endlich einmal im Liegen schlafen wollte, um so zu sein wie alle anderen, auch wenn das für seinen deformierten Körper lebensgefährlich ist? Das Stück lässt es klugerweise offen - für die Gesellschaft ist der Grund ohnehin egal. Sie wird sich das nächste Objekt zum Begaffen suchen.

Termine: 12., 21., 26. und 31. Mai. 3., 5., 11., 15., 17. und 29. Juni. 1., 6. und 14. Juli. Karten unter: Tel. (06 81) 309 24 86.

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