Interview Marcel Fratzscher „Lohnsteigerungen nicht verteufeln“

Berlin · DIW-Chef Fratzscher kritisiert den Vorstoß der Metall-Arbeitgeber gegen den Flächentarif.

 Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, kritisiert die Drohung des Arbeitgeberverbandes, aus dem Flächentarifvertrag auszusteigen.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, kritisiert die Drohung des Arbeitgeberverbandes, aus dem Flächentarifvertrag auszusteigen.

Foto: dpa/Daniel Naupold

Der Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie hat wegen vorgeblich überzogener Gewerkschaftsforderungen mit einem Ende des Flächentarifvertrags gedroht. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hält den Vorstoß für unbegründet.

Herr Fratzscher, ist die IG Metall maßlos in ihren Lohnforderungen?

FRATZSCHER Nein. In der Metall- und Elektroindustrie wird sicher gut verdient. Auch im internationalen Vergleich. Zugleich ist diese Branche aber sehr wettbewerbsfähig. Maßlos hieße, nicht mehr wettbewerbsfähig zu sein. Doch das ist nicht der Fall. Der aktuelle Tarifvertrag dort sieht eine Lohnsteigerung um 4,3 Prozent, plus Sonderzahlungen, über eine Laufzeit von 27 Monaten vor. Bei einer Inflation von 1,5 Prozent pro Jahr kann man da wirklich nicht von einer exzessiven Größenordnung reden.

Dennoch verabschieden sich immer mehr Unternehmen aus der Tarifbindung. Auch in anderen Branchen. Wie erklären Sie sich das?

FRATZSCHER Es ist eine verhängnisvolle Entwicklung, dass in Deutschland inzwischen nur noch etwa die Hälfte aller Arbeitsverträge einem Tarifvertrag unterliegt. Das Aufkündigen solcher Verträge führt dazu, dass die Schwächsten noch mehr geschwächt werden. Der Verfall der Sozialpartnerschaft ist der zentrale Grund für den riesigen Niedriglohnbereich in Deutschland. Sicher gibt es einzelne Betriebe, die bestimmte Lohnabschlüsse nicht stemmen können. Aber wenn man sich die Lage der Unternehmen in Deutschland insgesamt anschaut, dann ist die schleichende Aushöhlung der Tarifbindung durch die Arbeitgeberseite nicht nachvollziehbar.

Die Tariflöhne sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Das macht vielen Betrieben offenbar sehr zu schaffen.

FRATZSCHER Zweifellos gab es in den letzten Jahren hohe Lohnsteigerungen, durch den Mindestlohn auch am unteren Ende der Einkommensskala. Aber bei der längerfristigen Lohnentwicklung, sprich, über die letzten 20 Jahre, liegt Deutschland unter dem europäischen Durchschnitt, obwohl die wirtschaftliche Entwicklung bei uns alles andere als unterdurchschnittlich war. Der Anteil der Wirtschaftsleistung, der an die Beschäftigten per Lohnzahlung geht, ist in Deutschland mittlerweile stärker gesunken als in fast allen anderen Industrieländern. Insofern haben wir hier auch einen Nachholbedarf.

Die Konjunktur hat sich eingetrübt. Wird damit auch die Luft für hohe Tarifabschlüsse dünner?

FRATZSCHER Ich sehe kein Grund dafür, dass sich die Gewerkschaften in Lohnzurückhaltung üben sollten. Denn die konjunkturelle Abschwächung hat nichts mit hohen Lohnabschlüssen zu tun, sondern mit globalen Handelskonflikten, dem Brexit und großen Unsicherheiten in Italien. Durch geringere Lohnanpassungen würden die Exporte nicht steigen. Umgekehrt ist es aber gerade der starke private Konsum, der die deutsche Wirtschaft aktuell stützt. Man sollte Lohnsteigerungen also nicht verteufeln.

Haben Sie eine Idee, um die Tarifbindung wieder zu stärken?

FRATZSCHER Zum einen müssen Tarifverträge so flexibel gestaltet werden, dass sie für sehr unterschiedliche Unternehmen passen. Und zum anderen ist die Politik in der Pflicht, Arbeitgeber und Arbeitnehmer an einen Tisch zu bringen und klar zu machen, dass die Sozialpartnerschaft ein Garant für den wirtschaftlichen Erfolg in Deutschland ist.

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