Geschwindigkeitsassistenten für Autos Wenn Autos klüger als Fahrer werden

Brüssel · Ab 2022 beginnt in der EU die schrittweise Einführung von Geschwindigkeitsreglern. Autos sollen dann erkennen, wenn der Fahrer zu schnell fährt, und warnen.

 Intelligente Geschwindigkeitsassistenten in Autos sollen Begrenzungen erkennen und so merken, wenn der Fahrer zu schnell unterwegs ist. In zwei Jahren sollen sie verpflichtend für neue Modelle werden.

Intelligente Geschwindigkeitsassistenten in Autos sollen Begrenzungen erkennen und so merken, wenn der Fahrer zu schnell unterwegs ist. In zwei Jahren sollen sie verpflichtend für neue Modelle werden.

Foto: picture alliance/dpa Picture-Alliance / CHROMORANGE / Martin Schroeder

Grünen-Chef Robert Habeck träumte in diesen Tagen bereits von dem ersten Schritt als Regierungspartner nach den Wahlen 2021: Ein Tempolimit von höchstens 130 Kilometern pro Stunde (km/h) auf Autobahnen soll’s werden. Ein Blick in den aktuellen Stand der EU-Gesetzgebung zeigt, dass dort längst Maßnahmen beschlossen wurden, die das Rasen technisch erschweren. Das Zauberwort: ISA, eine Abkürzung für Intelligent Speed Adaption (intelligente Geschwindigkeitsregelung).

Schon vor drei Jahren kam die Diskussion darüber in Gang, als die Brüsseler EU-Kommission bilanzierte, dass auf den Straßen der Gemeinschaft jedes Jahr rund 25 300 Menschen ums Leben kommen und weitere 140 000 zum Teil schwer verletzt werden. Bei 90 Prozent der Unfälle, so die Behörde, versagt der Fahrer. In der Folge entstand der Plan, die Fahrzeuge – Lkw wie Pkw – durch Assistenzsysteme sicherer zu machen. Seit 2018 müssen alle Autos mit eCall, einem automatischen Notrufsystem, ausgerüstet sein, um im Fall eines Crashs möglichst schnell die Retter herbeizurufen. Seit diesem Jahr kamen weitere technische Hilfen an Bord dazu. 2022 schlägt die Stunde für einen großen Schritt: „Einer der spannendsten Aspekte ist der Intelligente Geschwindigkeitsassistent, der den Fahrern hilft, die Tempolimits einzuhalten“, sagte der Brite Matthew Baldwin, der bei der EU-Kommission als Koordinator für Verkehrssicherheit und nachhaltige Mobilität tätig ist, vor wenigen Tagen in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. „Er wird in allen Neuwagenmodellen von 2022 an verpflichtend integriert und muss bis 2024 in alle Neuwagen, also auch in ältere Modelle, eingebaut werden.“ Die Software kombiniert die Bilder einer eingebauten Front-Kamera, die die Tempolimit-Schilder erkennt, mit dem digitalen Navigationssystem und der Motorüberwachung. Ursprünglich war sogar von einer Zwangsbremsung die Rede, doch diesen Plan hat man mit Blick auf dann riskante Überholmanöver aufgegeben. Tatsächlich dürfte die ISA den Fahrer zunächst optisch und akustisch warnen, wenn er zu schnell unterwegs ist – ehe dann die Motorleistung gedrosselt wird. Der Fahrzeuglenker kann das System abschalten, beim nächsten Start ist es wieder aktiv. Da alle diese Fahrmanöver auf der ebenfalls bald vorgeschriebenen Blackbox (Fahrtenschreiber) für die Unfallforschung festgehalten werden, gab es zunächst Kritik wegen möglicher Verstöße gegen den Datenschutz. Schließlich hätte ein Fahrer nach einem Unfall nachträglich eine Strafe befürchten müssen. Nun werden die Daten des Autos verschlüsselt.

Antonio Avenoso, Direktor des Europäischen Verkehrssicherheitsrates (ETSC), sprach bereits von einem „Meilenstein“, der nur mit der Einführung der Anschnallgurte zu vergleichen sei. Aus seinem Haus stammt eine Studie, die die Wirkung solcher Eingriffe in die Hoheit des Fahrers belegt: Demnach rettet eine Senkung des Durchschnittstempos in der EU um nur ein km/h jährlich 20 000 Menschenleben. Baldwin zufolge zeigt das: „Geschwindigkeit bewirkt zwei Dinge. Sie macht einen Unfall wahrscheinlicher und sie macht ihn schlimmer.“

Die zusätzlichen Kosten für den Einbau scheinen noch unklar zu sein. Die EU-Kommission sprach zunächst von Beträgen bis zu höchstens 80 Euro, Experten rechnen mit bis zu 500 Euro. Eine Breitenwirkung dürfte auf sich warten lassen. Denn eine Nachrüstung älterer Fahrzeugtypen ist technisch wohl nicht möglich. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) wies schon vor einiger Zeit darauf hin, dass für ein funktionsfähiges ISA-System weitere Voraussetzungen nötig sind: Verkehrsschilder müssten gut erkennbar sein, befristete Tempolimits zum Beispiel in Baustellen sollten aufeinander abgestimmt und nach der Maßnahme sofort entfernt werden. Ob dann wirklich noch ein Tempolimit nötig ist, wenn die Autos klüger werden als ihre Fahrer?

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort