Interview Dietmar Wolff „Medien sind der Kitt der Gesellschaft“

Berlin · Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Digitalpublisher und Zeitungsverleger spricht über die Branche in der Corona-Krise.

Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Digitalpublisher und Zeitungsverleger

Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Digitalpublisher und Zeitungsverleger

Foto: BDZV/Bernd Brundert

Selten waren zuverlässige Informationen so wichtig wie jetzt. Wie haben sich die Zeitungen darauf eingestellt – und was bedeutet das für die Branche? Die SZ fragte den Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), Dietmar Wolff.

Herr Wolff, bemerken Sie eine erhöhte Nachfrage nach Ihren gedruckten und digitalen Produkten?

WOLFF Ja, sehr deutlich. Jetzt ist guter Journalismus gefragt. Wir merken das an den um bis zu 150 Prozent gestiegenen Zugriffszahlen auf unsere digitalen Angebote, aber auch bei den stabilen Printausgaben. Die Kioske sind jetzt eine wichtige Anlaufstelle.

Wie haben die Redaktionen reagiert?

WOLFF Mit einer enormen Ausweitung vor allem der lokalen und regionalen Berichterstattung. Die meisten Redaktionen informieren über das Coronavirus und die Folgen gedruckt und digital mit einer unglaublichen Tiefe. Dazu gibt es überall im Land tolle neue Ideen und Angebote für Leser mit Langeweile, Kinder, die nicht zur Schule gehen können, Nachbarschaftshilfen und so weiter.

Rächt sich jetzt, dass viele Redaktionen in den letzten Jahren so viel Personal abgebaut haben?

WOLFF Es gab eher strukturelle Veränderungen aus Effizienzgründen, die aber nicht zu einer Qualitätsminderung bei der Berichterstattung geführt haben. Vor allem im Lokalen und Regionalen sind sich die Verlage ihrer Verantwortung bewusst.

Ist das normale redaktionelle Arbeiten eingeschränkt?

WOLFF Die Redaktionen sind arbeitsfähig und haben mit ihren IT-Abteilungen schnell auf die Lage reagiert.

Können Sie die Zustellung noch aufrechterhalten? Gerade alte Menschen sind ja jetzt darauf angewiesen.

WOLFF Wir sind wirklich froh, dass die gesamte Logistik bisher hält. Selbst in Heinsberg, wo es die höchsten Infektionszahlen in Deutschland gibt, wird die Zeitung nach wie vor ausgetragen. Wir danken ausdrücklich allen 100 000 Zustellern, die jede Nacht in Deutschland unterwegs sind.

Der Bund will den Zeitungsverlagen in diesem Jahr mit 20 Millionen für die Zustellkosten unter die Arme greifen. Reicht das?

WOLFF Das war schon vor der Corona-Krise beschlossen worden, weil die Kosten im Zustellbereich explodiert sind. Die bisher genannte Summe wird dafür nicht ausreichen. Wir befinden uns dazu weiter in Gesprächen mit der Bundesregierung. Besonders in diesen Zeiten merkt man, wie wichtig auch die gedruckte Zeitung und ihre funktionierende Zustellung ist.

Brechen Ihnen durch die Krise Werbeeinnahmen weg?

WOLFF Ja, massiv. Das ist leider so. Das führt in vielen Verlagen schon jetzt zu Problemen. Am deutlichsten betroffen sind neben dem Eventbereich auch Gastronomie und klassische stationäre Einzelhandelsanzeigen. Weitgehend davon ausgenommen ist der Lebensmitteleinzelhandel.

Brauchen die Zeitungen einen speziellen Schutzschirm?

WOLFF Gerade jetzt in der Krise hat sich gezeigt, dass nicht nur die Bereiche Gesundheit und Ernährung systemrelevant sind, sondern auch die Versorgung mit verlässlichen Informationen. Deshalb ist es richtig, auch die Zeitungsverlage besonders zu unterstützen. Essenziell ist aus unserer Sicht eine staatliche Förderung der Zeitungszustellung. Ganz wichtig: Die Unabhängigkeit der Redaktionen bliebe dadurch gewahrt.

Die traditionellen Medien erleben gerade eine Renaissance gegenüber den sozialen Medien. Wird die dauerhaft sein?

WOLFF Die etablierten Medien sind in solchen Zeiten der Kitt für die Gesellschaft. Allen, auch der Politik, wird jetzt bewusst, wie systemrelevant die Stabilität der ganzen Konstruktion ist: angefangen von den Nachrichtenagenturen, die ja von den Zeitungen mitgetragen werden, über die Redaktionen bis hin zur Zustellung. Wenn da was wegbricht, ist der Staat, ist die ganze Gesellschaft nicht mehr reaktionsfähig. Ich glaube, dass sich diese Erkenntnis jetzt verbreitet. Das Thema wird sein, ob die Gesellschaft auch nach der Krise bereit ist, Geld für diese Leistung auszugeben.

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