Tarifverhandlungen in der Metall-Industrie IG Metall wirft Arbeitgebern Blockadehaltung vor

Saarbrücken · Der Tarifkonflikt in der Metallindustrie birgt in der aktuellen Runde viele Streitpunkte. Neben der Forderung von sechs Prozent mehr Entgelt liegt den Arbeitgebern vor allem die Forderung nach einer Teilzeitregelung mit Rückkehrrecht und Sonder-Vergütung im Magen. Sie wollen darüber nicht reden. Deshalb wirft ihnen die Gewerkschaft eine Blockadehaltung vor.

 Jörg Köhlinger, Verhandlungsführer der IG-Metall für den Bezirk Mitte.

Jörg Köhlinger, Verhandlungsführer der IG-Metall für den Bezirk Mitte.

Foto: Robby Lorenz

Herr Köhlinger, die IG Metall fordert in den Tarifverhandlungen neben einer Sechs-Prozent-Steigerung das Recht, für die Zeit von zwei Jahren die Wochenarbeitszeit zu verkürzen. Vor allem der zweite Punkt stößt bei den Arbeitgebern auf erbitterten Widerstand.

KÖHLINGER Die Arbeitgeber haben sogar gesagt, dass sie gar nicht bereit sind, überhaupt über das Thema zu reden Dabei wird aber auch deutlich, dass es hier nicht um eine politische Frage geht, sondern um eine Haltungsfrage. Sie wollen das gar nicht.

Warnstreik bei Bosch in Homburg
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Die Arbeitgeber haben aber auch erst vor wenigen Tagen ein Rechtsgutachten präsentiert, mit dem sie belegen, dass die Forderung und somit auch die Warnstreiks rechtswidrig sind.

KÖHLINGER Das ist richtig. Aber ehrlich gesagt, nehme ich das Gutachten nicht so furchtbar ernst. Die Arbeitgeber kennen unsere Forderung seit drei Monaten. Und unmittelbar im Vorfeld der Warnstreikphase präsentieren sie das Gutachten. Das ist schon sehr durchsichtig. Wir halten unsere Forderungen für absolut rechtmäßig. Die Arbeitgeber argumentieren ja, dass es eine Benachteiligung der Arbeitnehmer geben würde, die jetzt schon in Teilzeit sind. Wir fordern aber keine neue Teilzeit-Regelung, sondern wir fordern eine verkürzte Vollzeitregelung. Und die ist in bestimmten Fällen mit einem Lohnzuschuss kombiniert. Das ist eine ganz andere Sache. Ich finde es auch erstaunlich, dass sich die Arbeitgeber ausgerechnet jetzt zum Anwalt insbesondere weiblicher Beschäftigten machen, die in Teilzeit ohne Rückkehrrecht in die Vollzeit arbeiten. Genau gegen dieses Rückkehrrecht sind die Arbeitgeber aber noch vor der Bundestagswahl zu Felde gezogen. Für mich haben die Arbeitgeber hier ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Nach Aussage der Arbeitgeber wäre aber auch die Produktionssicherheit gefährdet, wenn die Mitarbeiter selber entscheiden könnten, ob und wann sie in Teilzeit gehen.

KÖHLINGER Aus meiner Sicht geht es bei dem Konflikt vor allem um die Frage, wer die Macht über die Arbeitszeiten hat. Wir treten für mehr Zeitsouveränität der Beschäftigten ein, für mehr Selbstbestimmung und für weniger Belastung. Die Arbeitgeberseite will genau das Gegenteil, nämlich die Arbeitszeiten ausweiten und entscheiden dürfen, wann die Arbeitnehmer mehr arbeiten. Wir halten das für die falsche Strategie: Wer im Wettbewerb um Fachkräfte bestehen will, braucht attraktive Arbeitsbedingungen und flexiblere Arbeitszeiten. Wir haben ja jetzt bereits die Situation, dass Bewerber schon im Einstellungsgespräch fragen, welche Möglichkeiten der Flexibilität es unter anderem für Kindererziehung oder Pflege gibt.

 Bei Robert Bosch haben am Mittwoch rund 2000 Beschäftigte den Tarifforderungen mit einem Warnstreik Nachdruck verliehen.

Bei Robert Bosch haben am Mittwoch rund 2000 Beschäftigte den Tarifforderungen mit einem Warnstreik Nachdruck verliehen.

Foto: BeckerBredel

Fachkräftemangel ist ein gutes Stichwort, denn die Arbeitgeber argumentieren auch, dass sie die Fehlzeiten, die durch die geforderte Teilzeitregelung entstehen, gar nicht mit Fachkräften besetzen können.

KÖHLINGER Wer, bitte schön, ist denn für den Fachkräftemangel verantwortlich? Über die Frage, wie aus- und weitergebildet wird, entscheiden doch immer noch die Arbeitgeber. Und die haben in den vergangenen Jahren bei der Personalpolitik auf Kante genäht. Wenn jetzt die Belegschaft mit der Ausweitung von Schichtarbeiten am Rande des Limits arbeitet – das ist signifikant mehr geworden in den vergangenen Jahren –, dann ist es hinterhältig, über den Fachkräftemangel zu klagen. Zumal man sehen muss, dass es in Deutschland 1,2 Millionen Teilzeitbeschäftigte gibt, von denen viele wieder in Vollzeit gehen wollen, es aber nicht können. Außerdem haben wir in der Metallindustrie einen Frauenanteil von 20 Prozent. Der ist durchaus ausbaufähig. Und wir haben die Tatsache, dass 25 Prozent der weiblichen Beschäftigten und 14 Prozent der männlichen Beschäftigten unterhalb ihres Ausbildungs- und Qualifikationsniveau arbeiten. Wenn man Ingenieure oder Meister und Techniker am Band beschäftigt, hat man natürlich das Fachkräfteproblem selbst zu verantworten.

Welchen Vorschlag haben Sie also für die Arbeitgeber?

KÖHLINGER Das Thema Weiterbildung ist in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt worden. Da wäre viel zu tun, um dem Fachkräftemangel entgegenzusteuern. Außerdem darf man ja auch nicht unterstellen, dass sofort 100 Prozent aller Arbeitnehmer von der Teilzeitoption Gebrauch machen. Das wäre doch absurd. Wir wollen ja nicht eine kollektive Arbeitszeitverkürzung durchsetzen, sondern nur die Option schaffen, von dieser Regelung temporär Gebrauch zu machen, beispielsweise um Kinder zu betreuen oder ein Familienmitglied zu pflegen. Die Inanspruchnahme wird ganz sicher überschaubar sein.

Trotzdem ist das Argument nicht von der Hand zu weisen, dass es Probleme in der Produktion gibt.

KÖHLINGER Wir haben doch jetzt schon Situationen, wo unerwartet temporär Beschäftigte ausfallen. Beispielsweise durch Krankheit oder sonstige Gründe. Und auch schon jetzt bekommen es die Unternehmen ganz gut hin, ihre Produktion zu sichern. Dafür muss der Arbeitgeber einfach eine Personalreserve vorhalten. Das ist planbar und steuerbar.

Die Arbeitgeber stören sich aber auch daran, dass Sie zusätzlich zur verkürzten Arbeitszeit noch einen Teilzeitausgleich von 200 Euro fordern. Also eine Bezahlung für nicht geleistete Arbeit.

KÖHLINGER Das gibt es in der Tarifvertragslogik doch schon lange. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist eine Bezahlung für nicht geleistete Arbeit ebenso wie der bezahlte Urlaub und auch das zusätzliche Urlaubsgeld. Beide stehen jedoch im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis und sind letztlich auch sozialpolitisch durchgesetzt worden. Ebenso die Altersteilzeit. Die Arbeitgeber sagen aber auch, dass sie für das Thema Kindererziehung und Pflege nicht zuständig sind, weil es ein sozialpolitisches Thema ist. Fakt ist aber, dass sie sich damit ihrer sozialen Verantwortung entledigen, denn die Beschäftigten müssen diese Leistungen, also Pflege und Kindererziehung, ja trotzdem erbringen. Wir sind überzeugt, dass die Arbeitgeber verpflichtet sind, sich auch an dieser gesellschaftlich notwendigen Aufgabe zu beteiligen.

Mit der Lohnforderung und der Arbeitszeit haben sie ein großes Paket geschnürt. Ist es vielleicht zu groß, um damit Erfolg zu haben?

 Schon am Dienstagmorgen startete am Dienstagmorgen mit einem Warnstreik bei ZF der Arbeitskampf der Metaller im Saarland.

Schon am Dienstagmorgen startete am Dienstagmorgen mit einem Warnstreik bei ZF der Arbeitskampf der Metaller im Saarland.

Foto: BeckerBredel

KÖHLINGER Warum? Wir haben in der Vergangenheit immer wieder Lohnforderungen mit solchen qualitativen Forderungen verknüpft. Da gibt es keinen Grund, das nicht auch jetzt gemeinsam zu machen.

Sie fordern auch bei der Schichtarbeit Entlastungen.

KÖHLINGER Das ist richtig, weil wir da ein Problem sehen. Wir haben im Bezirk Mitte einen Anteil von 40 Prozent Schichtarbeitern. Im Saarland ist dieser Prozentsatz noch höher. Und wer in diesen Modellen arbeitet, muss mit gravierenden gesundheitlichen Einschränkungen und Gefährdungen rechnen. Und auch mit einer geringeren Lebenserwartung. Hier fordern wir deshalb die Möglichkeit zu mehr Freischichten, für die es dann auch eine finanzielle Kompensation gibt. Denn diese Mitarbeiter sind es ja, die es durch ihre extreme Flexibilität auch ermöglichen, dass die Metall- und Elektroindustrie so wettbewerbsfähig ist. Wenn die Arbeitgeber nun in den Verhandlungen sagen, unsere Arbeitszeiten seien zu starr, und wir müssten den Acht-Stunden-Tag ausweiten, dann ist das angesichts dieser Flexibilität schon ziemlich dreist.

Kommen wir noch einmal auf das Entgelt zurück: In der Metall- und Elektro sind in den vergangenen 25 Jahren die Einkommen um 107 Prozent nominal und 30 Prozent real gestiegen. Und jetzt wollen sie noch einmal sechs Prozent mehr. Ist das nicht überzogen?

KÖHLINGER Bemerkenswerterweise ist die Branche trotz der Steigerungen nicht untergegangen. Wir haben in jeder Tarifrunde gehört, dass durch die Tarifabschlüsse die Wettbewerbsfähigkeit leidet. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr ist in der Industrie jede Menge Geld verdient worden. Mit unseren Tarifverträgen haben wir den Verteilungsspielraum ausgeschöpft und die Beschäftigten an der guten wirtschaftlichen Entwicklung beteiligt. Für die Unternehmen relevant aber sind die Lohnstückkosten. Und die sind von 2000 bis 2017 relativ konstant geblieben.

Trotzdem besteht die Gefahr, dass die Unternehmen nicht mehr hier im Land investieren, sondern in Nachbarländern, wenn die Lohnkosten zu stark steigen.

KÖHLINGER Sicherlich sind auch Entgelte ein Grund für Auslandsinvestitionen. Allerdings ist zwischen 2007 und 2017 der Anteil der Auslandsinvestitionen aus Kostengründen drastisch zurückgegangen. Der macht noch etwa ein Viertel aus. Bei den restlichen Investitionen sind die Motivationen eher Markterschließung, Kundendienste oder die Eröffnung von Auslandsdependancen aus Absatzgründen. Das ist ja auch logisch. Wir können nicht die ganze Welt mit Produkten beliefern und alles nur in Deutschland herstellen wollen.

Wenn aber hier im Saarland nur noch unter Abschreibungsniveau investiert wird, wie es die Arbeitgeber sagen, ist das schon beängstigend.

KÖHLINGER Das kann aus unserer Sicht aber nicht am Entgeltniveau liegen, denn die Gewinnentwicklung ist auch im Saarland überdurchschnittlich gut. Und wir haben ja auch im Saarland erhebliche Neuinvestitionen wie beispielsweise bei ZF gehabt. Der Lohnkostenanteil der Metall- und Elektroindustrie liegt bei deutlich unter 15 Prozent. Und man kann ja nun nicht so tun, als ob jeder Prozentpunkt Steigerung beim Lohnniveau auch übersetzt ein Prozentpunkt bei den Kosten ist. Ich kann nicht erkennen, dass es eine Unmöglichkeit gibt, Investitionen zu tätigen.

Jetzt argumentieren Sie bei Ihrer Lohnforderung vor allem mit der guten Konjunktur. Bei einer schlechten Konjunktur wäre die Gewerkschaft aber auch nicht bereit, im Umkehrschluss Abstriche zu machen.

KÖHLINGER Dazu gibt es aber auch keinen Grund, weil wir seit Jahren Produktivitätsfortschritte haben, weil es auch immer wieder Preissteigerungen gibt. Da geht es gar nicht darum, irgendetwas zurückzunehmen. Bei den vergangenen Tarifergebnissen gab es mal mehr Vorteile für die Arbeitnehmer, mal für die Arbeitgeber. Wir pressen keine Unternehmen aus, sondern es sind Kompromisse, die von beiden Seiten getragen werden.

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