Die erste Goldene Palme für einen deutschen Film seit 32 Jahren?

Cannes · Weitestgehend verlässlich gutes Autorenkino hat dieser Wettbewerbsjahrgang in Cannes geboten. Zum Finale vor der Preisverleihung am Sonntag gab es noch einige filmische Missgriffe – unter anderem von Sean Penn.

(Fast) alle lieben "Toni Erdmann" - es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn am Sonntag nicht die erste Goldene Palme seit Wim Wenders' "Paris, Texas" 1984 nach Deutschland ginge. Maren Ades brüllend komische, kluge Tragikomödie galt früh als Favorit. Andere preisverdächtige Werke kristallisierten sich trotzdem heraus: Das brasilianische Drama "Aquarius" von Cannes-Debütant Kleber Mendonca Filho etwa über eine alte Dame, die aus ihrer Wohnung vertrieben werden soll; das Gesellschaftsbild "Bacalaureat" des rumänischen Palmen-Gewinners Cristian Mungiu ("4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage"), das komplexe moralische Fragen um Korruption und Verantwortung aufwarf. Und Jim Jarmuschs alltagspoetischer "Paterson", der ganz unaufgeregt eine Woche aus dem Leben eines dichtenden Busfahrers erzählt. Auf jeden Fall sollte da der Darstellerpreis für Adam Driver drin sein.

In Pedro Almodóvars Frauendrama "Julieta" konnte man die schönen Bildkompositionen und Erzählkonstruktionen bewundern, ans Herz ging der Film aber nicht. Xavier Dolans "Juste la fin du monde", ein überhitztes Drama über eine zerrüttete Familie, bot visuell einfallsreiche Momente, war aber zu hysterisch, gefühlsmäßig zu effekthascherisch.

Kurz vor Schluss standen filmische Kröten auf dem Programm: Nicolas Winding Refn - einst in Cannes für "Drive" ausgezeichnet und für "Only God Forgives" attackiert - irrlichterte mit dem alpträumerischen "The Neon Demon" durch seine blutsudelige Idee vom Modelbusiness-Haifischbecken in Los Angeles. Der Film ist zwar kunstvoll durchkomponiert wie die Fotostrecke in einem Hochglanzmagazin. Doch hinter den Bildern herrschte eine gähnende Leere.

Schwer erträglich war auch Sean Penns Regie-Fehltritt "The Last Face", in dem sich Charlize Theron und Javier Bardem als Ärzte beim Einsatz in den Kriegswirren Liberias ineinander vergucken. Liebe und Leben, Gewalt und Tod: Im einzigen Film des Wettbewerbs, der Verbindungen zu einem Konflikt und einer humanitären Katastrophe der Gegenwart legt, fängt Penn harte, durchaus eindringlich realistische Bilder ein. Dass er drumherum eine getragene Liebesgeschichte inszeniert, alles mit kitschiger Musik überkleistert und mit säuselnden Off-Kommentaren versieht, wirkt fast obszön. Betroffenheit und hehres Anliegen allein machen noch keinen guten Film.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort