Der wütende Mann und das Meer

Saarbrücken · Benjamin Brittens Oper „Peter Grimes“ ist viel zu schwer, als dass man von einem musikalischen Genuss schreiben wollte. Solisten, Chor und Orchester jedoch sind in Paradeform; diese Staatstheater-Produktion lässt einen so schnell nicht mehr los.

 Die Menge tobt – und ihr Opfer, Peter Grimes (der bestechende Brenden Gunnell), steht abseits. Fotos: Thomas M. Jauck

Die Menge tobt – und ihr Opfer, Peter Grimes (der bestechende Brenden Gunnell), steht abseits. Fotos: Thomas M. Jauck

Foto: Thomas M. Jauck
 Ellen Orford (Elizabeth Wiles) mit Grimes' Fischerjungen (Jonah Loic Seiwert).

Ellen Orford (Elizabeth Wiles) mit Grimes' Fischerjungen (Jonah Loic Seiwert).

"Einfach so reinschneien, das geht bei dieser Oper nicht", meint die Dame nebenan, von der man weiß, sie ist Bayreuth-gestählt. Was können dagegen schon drei Stunden Britten bedeuten? Doch es stimmt, "Peter Grimes", diese düstere Außenseiter-Tragödie kann keine Oper sein, nach der man danach noch nett essen geht. Da stürmt was auf einen ein; und wenn's so mächtig wie jetzt am Saarländischen Staatstheater über einen hinweg tost, lässt einen Benjamin Brittens genialisches Frühwerk lange nicht mehr aus dem Bann.

Mehr noch: Klang wird Ganzkörpererfahrung, wenn die Choristen - Wutbürgern gleich - aufmarschieren, zornig "Peter Grimes" dem Publikum entgegenschreien: Jede Theatersesselwohligkeit ist dann weggefegt. Ja, Brittens Musik kann ein Tsunami sein. Und einmal mehr wird klar, dass der Opernchor der Saarbrücker Bühne Extraklasse ist. Doch auch Steuermann Nicholas Milton lenkt sein Staatsorchester furchtlos, aber mit sicherem Gespür für den richtigen Kurs mitten rein in die Brecher dieses tosenden Werks. Verblüffend einfach, aber enorm expressiv ist Brittens Klangsprache. Mal noch romantisch im Duktus (in den Zwischenspielen lässt Milton das Orchester wunderbar schwelgen), türmen sich dann aber Schroffheiten auf, das 20. Jahrhundert bricht durch. Und es ist bemerkenswert, mit welcher Klarheit Milton dies organisiert.

Aber zurück auf Anfang. Was genau ist "Peter Grimes" eigentlich; erstmals auf die Bühne gebracht, als in Europa der Zweite Weltkrieg gerade vorbei war? Ein Seestück an Englands Küste, so um 1830, mit dem eigensinnigen Fischer Grimes im Zentrum, der partout nicht sein will wie (fast) alle anderen in diesem von hohler Moral triefenden Städtchen? Oder geht es doch darum, wie Menschen, zur Masse degeneriert, auf einen Individualisten reagieren? Gewiss trifft all das zu - und findet sich auch in der Regie von Brigitte Fassbaender wieder. Britten lag der Stoff aber auch deshalb so am Herzen, weil er eigene Erfahrungen, Anfeindungen als Homosexueller in einer schwulenfeindlichen Gesellschaft, darin spiegeln konnte. Ja, und auch das Thema Kindesmissbrauch klingt an.

Fassbaenders Inszenierung verneint Letzteres nicht, vermeidet aber auch interpretatorische Sackgassen, die Figur Grimes ist einfach zu vielschichtig. So bettet die einstige Weltklasse-Mezzosopranistin die Oper in eine beklemmende Thriller-Atmosphäre wie im Filmklassiker "Es geschah am hellichten Tag". Schon weil die karge Bühne von Bettina Munzer, wo kahle Bretterwände die Menschen einzwängen, nur beim Ausblick aufs Meer Freiheit ahnen lässt. Auch für Peter Grimes scheint dies der einzige Ort, wo er Frieden finden kann vor der bösartigen Nachrede des restlichen Städtchens. Der Fischer jedoch ist nicht nur Opfer, sondern wohl auch Täter. Kommt doch auf seinem Boot unter mysteriösen Umständen ein Junge, sein Lehrling, zu Tode. Ein weiterer stürzt hinter seiner Kate den Hang herab. Grimes fühlt sich zu den Kindern hingezogen - mehr als gut täte. Seine Hand, mit der er die Jungen berührte, umklammert er krampfhaft mit der anderen - als verführe ihn diese Hand zum Bösen. Grimes ringt mit sich, mit seinen Trieben, und wütet gegen all jene, die seine Lebensweise ächten. Im Pub von Auntie (voll jovialer Mütterlichkeit: Diane Pilcher) rotten diese sich von Scharfmachern wie Bob Boles (klasse: Thorsten Büttner) befeuert zusammen.

Brenden Gunnell lässt sich Zeit, seinen Grimes zu formen. Zu Beginn ist er bloß wütend, impulsiv. Doch dann weitet er das Charakterspektrum - stimmlich wie darstellerisch. Gunnell, in Glyndebourne wie in Dresden schon zu erleben, ist ein Tenor von internationalem Rang, der aber die hohen Erwartungen in ihn mühelos noch übertrifft. Sein Tenor hat Kraft, Stahl und Feuer im Überfluss - doch er bannt auch in den Momenten des Zusammenbruchs Grimes' mit fast schon fragilen Tönen. Überwältigend! Ein Ausnahme-Sänger, der zwei Große des Saarbrücker Ensembles sogar noch beflügelt. Olafur Sigurdarson, der mit wunderbar vollem Bariton dem Kapitän Balstrode, Grimes' einzigem Vertrauten, Kontur gibt, bleibt Gunnell an Klasse nichts schuldig. Und Elizabeth Wiles, die in mondänem Rot als eigentlich eigenbrötlerische Dorfschullehrerin Ellen Orford fast schon zu großstädtisch wirkt, versucht mit flehendem, herrlich nuancenreichen Sopran Peter Grimes auf die rechte Lebensbahn zu holen - bei dieser Stimme mag man gerne an die Liebe als Rettungsmacht glauben. Ein Hoffnungsstrahl in dieser so packend düsteren Tragödie.

Weitere Vorstellungen: 22. März, 1. und 12. April, 18. Mai. Karten unter Tel. (06 81) 3 09 24 86.

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