„Der Mangel an Kultur ist tödlich“

Populär wurde die Französin Julie Delpy durch die Liebesgeschichte „Before Sunrise“ mit Ethan Hawke, die zwei Fortsetzungen erlebte. Heute schreibt sich die 46-jährige ihre Rollen auf den Leib und führt Regie („2 Tage Paris“). Die schwarzhumorige Komödie „Lolo – Drei ist einer zu viel“ ist Delpys fünfte Regiearbeit und erzählt von einem verwöhnten Sohn, der sich schwer tut mit dem neuen Freund der Mutter. SZ-Mitarbeiter André Wesche hat mit Delpy, die in den USA lebt, gesprochen – über Terror, Fundamentalismus, Sex und Donald Trump.

 Der blasierte Sohnemann Lolo (Vincent Lacose, rechts) schaut sehr skeptisch, als Mama (Julie Delpy) ihm ihren neuen Freund (Dany Boon) vorstellt – ein schöner Abend wird das wohl nicht. Foto: NFP

Der blasierte Sohnemann Lolo (Vincent Lacose, rechts) schaut sehr skeptisch, als Mama (Julie Delpy) ihm ihren neuen Freund (Dany Boon) vorstellt – ein schöner Abend wird das wohl nicht. Foto: NFP

Foto: NFP

Wie haben Sie die Terroranschläge von Paris erlebt?

Delpy: Wie jeder Franzose war ich völlig entsetzt. Gleichzeitig hat es mich nicht überrascht, weil sich der Mangel an Intelligenz einschleicht und langsam, aber stetig die Gesellschaft zerstört. Diese Kälte ist ein Ausdruck mangelnder Intelligenz, der Verlust von Menschlichkeit infolge von Dummheit. Nichts daran ist überraschend. Auch nicht, dass der Front National mehr Zuspruch bekommt. Es ist eine armselige Welt, aber man muss mit ihr leben. Und in der Zwischenzeit drehe ich Komödien, damit ich mich nicht mit diesem Mist beschäftigen muss.

Was hat Sie zu Ihrem Mutter-Sohn-Film "Lolo" inspiriert?

Delpy: Ich wollte eine lustige, einfache Geschichte erzählen. Eine Frau in den 40ern hat ein Kind, das sich für das Zentrum des Universums hält. Sie wird zum Opfer dieses Narzissten, der unglücklicherweise ihr Sohn ist. Die Figure Violette hat also unbewusst ein Monster geschaffen, obwohl sie ihm all ihre Liebe gegeben hat. Ist das nicht eine große Ironie?

Hat Ihr Sohn den Film gesehen?

Delpy: Er interessiert sich nicht für meine Filme. Ich habe ihm Ausschnitte aus "Familientreffen mit Hindernissen" gezeigt, weil ich dachte, dass sich dieser Film am ehesten für ein Kind eignet. Er sagte: "Mami, warum machst Du immer Filme, in denen die Leute nur reden?"

Die Damen in Ihrem Film reden sehr offen über Sex.

Delpy: Ja, ich wollte Frauen in ihren 40ern, die Klartext reden, jedoch ohne hässlich zu werden. Ich spreche jetzt nicht von allen Frauen: Aber wenn man mit Frauen ein Gespräch über Sex beginnt, öffnen sie sich schnell und können sehr vulgär werden - vulgärer als Männer. Sie gehen mehr in die Details, und das mit großer Freude.

Sie spielen nur noch selten in den Filmen anderer Regisseure. War die Schauspielerei nie Ihre Leidenschaft?

Delpy: Doch. Aber ich glaube, dass sich viele Leute von mir als Schauspielerin abgewandt haben, seit ich selbst Regie führe. Das schüchtert manche ein.

Sie leben in den USA. Werden Sie bald Präsident Trump haben?

Delpy: Das wäre verheerend. Das ist das Musterbeispiel für Erfolg am falschen Platz und ohne Intelligenz. Unsere Gesellschaft ist krank, und er ist das Symptom. Wir müssen die Ursachen kurieren, nicht die Symptome. Es macht keinen Sinn, ihn zu kritisieren. Wir müssen herausfinden, warum die Menschen für ihn stimmen. Oder für Marine Le Pen. Der Mangel an Bildung und an Kultur ist ebenso tödlich wie die Abgase von Autos und Industrie. Und er zerstört uns fast genauso schnell.

Sie klingen oft unglücklich.

Delpy: Ich bin immer unglücklich. Aber ich habe gelernt, damit zu überleben. Mein Psychologe sagt, es ist keine Depression, sondern mein normaler Daseinszustand. Die einzigen glücklichen Augenblicke sind die mit meinem Sohn im Bett, wenn er schläft und ich ihm einen Kuss gebe. Wenn er wach ist, macht er mich verrückt. Mit meinem Mann geht es mir ähnlich. Wenn jeder schläft, alles ruhig ist und mich nichts mehr sorgt, sind das die glücklichen Momente. Ich will die totale Kontrolle über diese beiden Kreaturen. Das ist die traurige Realität meines Lebens.

Ab morgen in der Camera Zwo (Sb). Kritik im treff.region, auch zu den anderen Neustarts.

Zum Thema:

Auf einen BlickDie anderen neuen Filme: Das Filmhaus Saarbrücken zeigt den französischen Film "Der Wert des Menschen" über einen 51-Jährigen (Vincent Lindon), der versucht, am Arbeitsmarkt zu überleben. Ebenso beklemmend ist der gerade oscarprämierte Film "Raum" über ein eingesperrtes Mutter-Sohn-Paar - zu sehen in der Camera Zwo (Sb).In einigen Kinos der Region starten eher durchschnittliche Filme: die erbauliche Jesus-Geschichte "Auferstanden" mit Joseph Fiennes, "Die Bestimmung" und die Fortsetzung "Kung Fu Panda 3". red

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