Das Kollektiv fliegt

Saarbrücken · Gut 13 500 Zuschauer kamen dieses Mal zum Saarbrücker Festival Perspectives; knapp unter dem Rekord des Vorjahres. Zugkräftig wie gewohnt war dabei der Zirkus. Wobei diese Spielart sich zum Finale höchst unterschiedlich präsentierte: Grandiose Körperkunst von der Compagnie XY, seltsam uninspiriert jedoch der „Marathon“-Artist Sébastien Wojdan.

 So schön, dass man Luftsprünge machen könnte: die Compagnie XY im E-Werk. Foto: Oliver Dietze

So schön, dass man Luftsprünge machen könnte: die Compagnie XY im E-Werk. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Er war quasi die Ikone des Festivals: Von jedem Perspectives-Plakat zielte er mit Pfeil und Bogen aufs Herz des Publikums: Artist Sébastien Wojdan. Und üblicherweise trifft der Zirkus beim deutsch-französischen Festival der Bühnenkunst. Im Großen und Ganzen kam's auch diesmal so: Rund 13 500 Zuschauer zählte das Festival, kaum weniger als 2015, als 14 247 Gäste Rekord bedeuteten. Und 2016 lockte wieder der Nouveau Cirque das Gros der Besucher. Soweit die bekannte Festivalmechanik.

Bei Sébastien Wojdan allerdings, der im Zirkuszelt vor dem Staatstheater campierte, wurde man schnell auch daran erinnert, dass Werbeworte in Programmheften bisweilen ziemlich haltlos tönen. Ein "philosophischer Marathonläufer" war annonciert. Hätten die Lobredner doch bloß geschwiegen oder er nicht gespielt, man hätte ihn gern weiterhin für einen Philosophen gehalten. So aber balanciert Wojdan wenig inspirierend eine Axt fürchterlich eng am Publikum vorbei, lässt seine Messer nahe der Zuschauer einschlagen. Immerhin, auch so kommt man zu Emotionen. Ansonsten aber wirken die Kürzesteinlagen des Soloartisten oft so unfertig, so unverbunden, dass man mal an Kinderjux, mal an halbstarkes Imponierenwollen denkt - wenn etwa die Klinge zwischen den Fingern tanzt. Allein zum Ende hin lässt Wojdan ahnen, was er vielleicht auch könnte. Eingegittert hinter Maschendraht zerrt er, der zuvor schon Mühe hatte, fünf Jonglierkeulen in der Luft zu halten, 10, 20, 30 davon aus einer Tasche und versucht der wirbelnden Überzahl Herr zu werden. Er kämpft, er wütet, er ermattet und bäumt sich wieder auf. Ja, ein Sisyphos, und damit doch von tragischer Größe, wenn auch bloß für Minuten.

Wie anders dagegen ging es bei der Compagnie XY im E-Werk zu, wo einem jede Sekunde Staunen bedeutet - ob dieser grandiosen Körperkunst. Hier findet sich ein Kollektiv zu einem atemraubenden Luftakrobatentheater, das (beinahe) nichts braucht außer eben seine 22 Artisten. Ja, sie machen, was man auch von anderen ihrer Zunft kennt. Sie türmen sich auf: drei, vier, fünf Menschenetagen hoch. Sie wirbeln durch die Luft, kommen katzengeschmeidig wieder auf. Doch nie gibt es diese Trommelwirbelpausen wie im Zirkus alter Zeit. Die Compagnie XY hält alles ständig im Fluss, alles wird zur Bewegung. Wenn sie sich etwa zu einem Berg der Körper aufschichten, der dann wie Schnee in der Sonne zerläuft.

Mal rennen sie rüpelnd gegeneinander an, mal tanzen sie ausgelassen Lindy Hop, diese Großen und Kleinen, die Männer mit den Superheldenschultern und die ganz zarten Persönchen. Das Ensemble zelebriert da - gar nicht nebenbei - auch die Unterschiedlichkeit seiner Mitglieder, aber eben die finden sich immer wieder zu einer Einheit zusammen. Ganz wunderbar.

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