Schreiben an EU-Kommission Rechenfehler bei CO2-Bilanz von E-Autos?

Brüssel · Eine Gruppe von Forschern appelliert an die EU-Kommission, den Fußabdruck von E-Mobilität unter die Lupe zu nehmen.

 Nach Ansicht der Wissenschaftler produziert etwa VWs E-Auto ID3 mehr als doppelt so viel Kohlendioxid wie bisher angenommen.

Nach Ansicht der Wissenschaftler produziert etwa VWs E-Auto ID3 mehr als doppelt so viel Kohlendioxid wie bisher angenommen.

Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Der Appell der Wissenschaftler kommt nur wenige Tage, bevor die EU-Kommission neue CO2-Flottengrenzwerte für Autos und Lieferwagen für das Jahr 2030 vorschlagen will. Der neue regulatorische Rahmen aus Brüssel – so viel steht schon fest – soll dafür sorgen, dass das E-Auto endgültig durchgesetzt und der Verbrenner zum Auslaufmodell wird. Doch nun läutet die Wissenschaft die Alarmglocke: Sie weist auf einen gravierenden Rechenfehler in den EU-Szenarien zur Betrachtung des CO2-Ausstoßes für die Bereitstellung von elektrischer Energie hin. Demnach sind die realen Emissionen des Sektors Elektrizität im Jahr 2030 zum Beispiel für Deutschland mehr als doppelt so hoch wie bislang angenommen. Die bisherige Betrachtungsweise, wonach das batterieelektrische Auto am klimaschonendsten unterwegs ist, gerät damit ins Wanken.

Die kritisierte Rechenmethode führt etwa dazu, dass VWs ID3 mit einem Normbedarf von 16,1 Kilowattstunden pro 100 Kilometer nach einer Laufleistung von 224 000 Kilometern nach 16 Jahren insgesamt 14 Tonnen CO2 verursacht. Dabei wird unterstellt, dass Strom aus Sonne und Wind kräftig ausgebaut wird. Wenn der Rechenfehler beseitigt wird, sieht die Bilanz deutlich schlechter aus: Dann müsse bei gleicher Fahrleistung mit dem Ausstoß von 30 Tonnen CO2 ausgegangen werden. Bei der Kalkulation sei noch nicht einmal der CO2-Ausstoß eingerechnet, der für Bau des Fahrzeugs, Betrieb bei winterlichen Temperaturen und Schnelladeverluste anfalle.

171 Experten aus der ganzen Welt, die zu Energie, Autos und Antriebstechnik forschen und lehren, unterstützen den Brief, der am Sonntag bei der EU-Kommission einging und unserer Zeitung vorliegt. Darin weisen sie auf ihre „grundlegenden Bedenken“ im Hinblick auf die Berechnung des CO2-Austoßes hin: Nach einer gründlichen Analyse von Positionspapieren, Gesetzgebungsentwürfen und wissenschaftlichen Publikationen sei man überzeugt, „dass die Ableitung der CO2-Emissionen im Sektor Elektrizität auf einer nicht hinreichenden Berechnungsmethode basiere“. „Bitte nehmen Sie zur Kenntnis“, heißt es in dem Schreiben, „dass die realen CO2-Emissionen deutlich höher sein können als angenommen.“ Und weiter heißt es: Der CO2-Aus­stoß könne durchaus in der Summe um den Faktor zwei höher liegen als angenommen – „abhängig vom Jahr und der Verfassung des Energiesystems“.

Die Experten schreiben weiter: „Die E-Auto-Technologie ist attraktiv – jedoch hängt das Potential vor allem vom Anwendungsfall ab.“ Doch am erfolgversprechendsten sei die CO2-Reduzierung, wenn CO2-neutral hergestellte synthetische Kraftstoffe („ReFuels“) in effektiven Verbrennungsmotoren benutzt würden. Es sei technisch problemlos möglich, einen Kraftstoff mit einem CO2-Minderungspotential von 25 Prozent zu definieren, der für den gesamten Pkw-Bestand bedenkenlos einsetzbar sei.

Die Wissenschaftler appellieren an die Kommission, ihre Erkenntnisse bei der anstehenden Regulierung im Blick zu haben: Ausgerechnet „die Antriebstechnologie von Autos mit dem niedrigsten CO2-Ausstoß, nämlich Hybrid-Diesel“, werde „politisch und wirtschaftlich anscheinend komplett ausgebremst.“ Bei einem Diesel-Pkw mit nur intern aufladbarem E-Motor und Betrieb mit Treibstoff mit 25-prozentigem Anteil an synthetischen Kraftstoffen sei ein CO2-Einsparpotenzial von bis zu 50 Prozent machbar. Diese Ziele mit E-Autos zu erreichen sei in vielen Ländern „völlig unmöglich“.

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