Kartell bei Abgas-Technik EU ermittelt gegen deutsche Autobauer

Brüssel · Schwere Vorwürfe gegen BMW, Daimler und VW. Die Autobauer sollen den Ausbau von Umwelttechniken gezielt behindert haben.

 Die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat ein Verfahren gegen VW, Daimler und BMW eingeleitet.

Die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat ein Verfahren gegen VW, Daimler und BMW eingeleitet.

Foto: dpa/Olivier Hoslet

Die Brüsseler EU-Kommission nimmt erneut die deutschen Autobauer ins Visier. Gestern eröffnete die Behörde ein Prüfverfahren, um weiteren Vorwürfen nachzugehen. Dahinter dürfte sich ein Sumpf aus Absprachen, Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht und Kundentäuschung verbergen.

Der Verdacht wiegt schwer. „Die Kommission will eingehender untersuchen, ob BMW, Daimler und VW vereinbart haben, bei der Entwicklung und Einführung wichtiger Technologien zur Verringerung von Schadstoff-Emissionen von Benzin- und Diesel-Pkw nicht miteinander zu konkurrieren“, teilte die für Wettbewerbsverstöße zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager mit. Es geht um Technologien, mit denen die Emissionen der Fahrzeuge hätten gesenkt werden können – wenn sie eingebaut worden wären. Wurden sie aber offenbar nicht. Mit gravierenden Auswirkungen, wie Vestager sagte: „Falls der Verdacht zutreffen sollte, hätten die Hersteller den Verbrauchern die Möglichkeit vorenthalten, umweltfreundliche Autos zu kaufen, obwohl die entsprechenden Technologien zur Verfügung standen.“ Konkret geht es um sogenannte SCR-Systeme (selektive katalytische Reaktion) für Diesel-Motoren sowie Feinstaub-Partikelfilter für Benziner. Der Vorwurf trifft neben BMW, Daimler und Volkswagen auch deren Töchter Audi und Porsche – die Crème de la Crème des deutschen Autobaus.

Bisher handelt es sich lediglich um eine Prüfung, ob und wenn ja, was an den Vorwürfen dran ist. Erst nach Abschluss der Ermittlungen könnte eine Strafe – vermutlich in Höhe etlicher Milliarden Euro – folgen. Fest steht aber: Brüssel hat hochkarätige Zeugen. Denn im Juli 2016 hatten Volkswagen und Daimler sich bei der Kommission gemeldet und die Absprachen gebeichtet. Noch ist unklar, wer zuerst seine Bücher öffnete. Es könnte entscheidend für die Frage sein, wer in den Genuss einer Kronzeugenregelung kommt, die mit einer spürbar geringeren Geldbuße einhergehen würde.

Im Herbst 2017 hatte der „Spiegel“ von geheimen Dokumenten berichtet, denen zufolge es zwischen rund 200 leitenden Mitarbeitern des sogenannten „Fünfer-Kreises“ etwa 1000 konspirative Treffen am Rande großer Messen gegeben haben soll. Fast 20 Jahre lang hätten die Fachleute der Konzerne in offiziellen Arbeitskreisen zu den Themen Sitzanlagen, Luftfederung, Benzin- und Dieselmotoren getagt. Dieser elitäre Club sorgte nach den Recherchen auch dafür, dass die Diesel-Antriebe nicht so gut gereinigt wurden, wie es technisch möglich gewesen wäre.

Auch wenn die EU-Kommission nur von einer Prüfung sprach, wiegt der Verdacht schwer. Zum einen trifft er die Branche mitten in der heftigen Diskussion um Fahrverbote und Nachrüstungen für Diesel-Motoren. Zum anderen wird das EU-Parlament Anfang Oktober entscheiden, welche Grenzwerte für Neuwagen bis 2030 in den Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten gefordert werden sollen. Der Umweltausschuss verlangt eine CO2-Reduktion von 45 Prozent im Vergleich zu heute. Die Hersteller laufen Sturm, haben aber nun schlechte Karten. Bis wann die Kommission die Ergebnisse ihrer Prüfung vorlegen wird, ist offen. Die Konzerne selbst schwiegen gestern zu der Maßnahme aus Brüssel. Beobachter sprechen aber davon, dass es um den möglicherweise größten Kartellskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte gehe.

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