Bestie Mensch

1930 steckt Regisseur Fritz Lang in der Krise: Die Ehe welkt dahin, die Filmideen sind verblüht, doch das reale Grauen wird zur Inspiration – eine beispiellose Mordserie in Düsseldorf. Lang begleitet die Ermittlungen und trifft den mittlerweile verhafteten Täter Peter Kürten. Das Ergebnis ist 1931 Langs legendärer Film „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“. So zumindest spielt sich das in Gordian Mauggs Spielfilm „Fritz Lang“ ab, der Fakten, Fiktion und historisches Filmmaterial mischt. Was ist hier Dichtung, was Wahrheit? Mit dem Regisseur und Co-Autor Maugg hat SZ-Redakteur Tobias Kessler gesprochen.

 Der Mörder und der Regisseur (als Spiegelung) – Fritz Lang (Heino Ferch, r.) beobachtet das Verhör von Peter Kürten (Samuel Finzi), der ihn zur Figur des Kindermörders in „M“ inspiriert.

Der Mörder und der Regisseur (als Spiegelung) – Fritz Lang (Heino Ferch, r.) beobachtet das Verhör von Peter Kürten (Samuel Finzi), der ihn zur Figur des Kindermörders in „M“ inspiriert.

Foto: Belle Epoque Films

In Ihrem Film sitzen sich Regisseur Fritz Lang und der Mörder Peter Kürten gegenüber - hat diese Begegnung jemals stattgefunden? Lang hat sich widersprüchlich geäußert.

Maugg: Ich behaupte: Ja! In US-Interviews 1965 hat er gesagt, dass er den Massenmörder persönlich gesprochen habe. Er sagte wörtlich: "Ich kannte Peter Kürten persönlich!"

In den 70er Jahren hat er das Gegenteil behauptet.

Maugg: Lang war ein Mann, der von sich stets immer nur die Geschichte erzählte, die ihm nützte. Damals hatten ihn die Regisseure der "Nouvelle Vague" in Paris für sich entdeckt, da lehnte er es ab, etwas mit "dem rheinischen Mörder" zu tun gehabt zu haben. Fakt ist, dass Lang stellenweise Wort für Wort aus den Aussagen Kürtens zitiert und Worte in Peter Lorres Mund gelegt hat, die ihrerseits durch Kürtens Aussagen zu belegen sind. Auch die Presse 1931 bezog sich in allen Artikeln immer auf Kürten, ohne dass sich Lang dazu geäußert hätte.

Wie würden Sie Ihren Film bezeichnen? Die ARD nannte ihn "Doku-Drama". Aber passt "Doku" da überhaupt?

Maugg: "Fritz Lang" ist ein Spielfilm. Historisches Archivmaterial findet zwar Platz, wird aber wie Spielfilmmaterial eingearbeitet.

War Lang als Person der Anstoß Ihres Films? Oder ging es Ihnen eher um ein generelles Porträt eines nach Inspiration suchenden Künstlers?

Maugg: Es ging mir um Fritz Lang. Er war ein wahrer Künstler und für den Film der Erfinder aller Genres, die wir heute kennen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Regisseuren der Weimarer Republik kam er nicht vom Schauspiel und Theater. Er war beeinflusst von Architektur und von der Malerei. Sein Verdienst ist es, diese Künste in den Film übertragen zu haben.

Ihr Lang im Film lernt das Gefühl von Mordlust selbst kennen - auf dem Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs. Bezieht sich das nur auf Lang oder ist das für Sie ein dunkler Teil der menschlichen Natur?

Maugg: Lang sprach immer vom "Anderen in uns". Ihn beschäftigte die Frage, warum der Mensch, der doch in die Welt geboren wird, um Gutes zu tun, zu einem mordenden Ungeheuer werden kann. Lang zog ja nicht in den Weltkrieg, um Mordlust auszuleben. Aber wie viele andere geriet er in einen Krieg, der erstmals ein industrieller war, ein Töten und Getötetwerden durch einen Gegner ohne Gesicht. Er muss dort Dinge gesehen haben, die ihn wie Furien für den Rest seines Lebens hetzten. Wie viele seiner Generation wurde er durch den Krieg beschädigt, auch wenn er dessen Granaten entkam.

Hat es nicht eine dunkle Ironie, dass Kürten, der Massenmörder der Weimarer Republik, später von einem Regime in den Schatten gestellt wird, das ihn wie einen Amateur wirken lässt - ein paar Jahre später hätte er vielleicht Karriere gemacht?

Maugg: Nein, Kürten mordete aus sexueller Triebhaftigkeit heraus. Ich glaube die Henker von SA und SS hatten andere Motive, dunkler noch als die Kürtens, der trotz allem noch ein Gewissen hatte. Vor seiner Hinrichtung schrieb Kürten stapelweise Entschuldigungsbriefe an die Verwandten seiner Mordopfer.

Der visuelle Stil Ihres Films mit den langen Schatten ist auffällig. Gab es vom Ko-Produzenten Arte Einwände, dass Sie im Vollbild-Format alter Filme und in Schwarzweiß gefilmt haben?

Maugg: Natürlich entspricht dies nicht den heutigen Sehgewohnheiten. Aber bei Arte ist man mit dem Besonderen immer zu Hause. Und im Kino gilt sowieso: Komm Zuschauer, setz Dich und lass Dich ein auf eine neue Erfahrung.

Hat sich Heino Ferch mit alten Lang-Interviews auf seine Rolle vorbereitet? Und Finzi auf den Duktus Peter Lorres, der den Mörder in "M" spielt?

Maugg: Wir haben sehr viel über die Figuren und über ihre Zeit gesprochen, Filme geschaut. Was von Fritz Lang verfügbar war, ist eingeflossen. Und die Dialoge für Samuel Finzi entstammen wortwörtlich den Kürten-Akten.

Haben Sie selbst einen Lieblingsfilm von Lang?

Maugg: Ganz klar "M". Toll ist aber auch "Der müde Tod".

"Fritz Lang" läuft ab heute im Filmhaus (Sb). Kritik, auch zu den anderen Neustarts, in unserer Beilage treffregion.

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