Athen lässt Reformen schleifen

Brüssel/Bratislava · Griechenland muss Reformen umsetzen, um neue Hilfskredite zu bekommen. Doch die Auflagen sind längst nicht erfüllt. Die Euro-Finanzminister machen nun wieder Druck.

"Der Sommer ist vorbei, packt die Campingausrüstung ein", gab sich Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem beim Treffen der Finanzminister gestern in Bratislava verkrampft locker. Denn er setzte sofort hinzu: "Der Druck ist wieder da. Wir brauchen endlich Fortschritte." Es ist wieder einmal Griechenland, das der Euro-Familie große Sorgen bereitet. Österreichs Kassenwart Hans Jörg Schelling erklärte sogar mit drohendem Unterton: "Wir werden deutlich darauf hinweisen, dass die Auszahlung von Mitteln an die Umsetzung von Vorleistungen gebunden ist."

Es geht um die nächste Tranche in Höhe von 2,8 Milliarden Euro aus dem dritten Hilfspaket. Laut Plan sollte das Geld im Oktober fließen, wenn die Hellenen bis Ende September die versprochenen Reformen vor allem bei der Privatisierung von Staatsbetrieben umgesetzt haben. Doch diese Frist scheint kaum noch erreichbar.

Nach Angaben von EU-Währungskommissar Pierre Moscovici hat Athen von 15 zugesagten Reformen bisher lediglich zwei aufgegriffen und die entsprechenden Gesetze erlassen. Tatsächlich fallen die Signale aus dem Land höchst unterschiedlich aus. Noch im Mai hatte sich Premier Alexis Tsipras optimistisch gezeigt und von einer Rückkehr an den Kapitalmarkt im nächsten Jahr geträumt. Ende August teilte das griechische Statistikamt dann mit, das Bruttoinlandsprodukt sei im zweiten Quartal um 0,9 Prozent gesunken. Geplant war ein Rückgang um höchstens 0,7 Prozent.

Am Donnerstag ließ die Regierung verlauten, man habe in den ersten sieben Monaten 2016 überraschend einen hohen Primärüberschuss (Saldo des Staatsetats ohne Berücksichtigung der Zinszahlungen auf die Staatsschulden) erwirtschaftet. Anstatt eines Minus von 875 Millionen, wie im Plan mit den Geldgebern vorgesehen, belaufe sich das Plus auf 3,57 Milliarden Euro. Jedoch dürfte dabei getrickst worden sein. Denn man rechnete nur die Maßnahmen der Zentralregierung zusammen und ließ die Bilanz der Regional- und Lokalverwaltungen sowie einen Teil der Militärausgaben und einige Ausgaben der Sozialversicherungen außen vor.

Wie sehr sich die Lage inzugespitzt hat, macht vor allem ein Schritt des Internationalen Währungsfonds (IWF) deutlich. Zwar teile die Chefin des Fonds, Christine Lagarde , mit, man sei in puncto Privatisierungen und Reformgesetze "zuversichtlich". Dennoch stellte sie klar, ihr Haus bleibe an dem Hilfsprogramm für Athen nicht beteiligt, weil "das Vorhaben auf zwei Beinen laufen muss". Neben Reformen brauche man eine Lösung für die Schuldentragfähigkeit. "Das ist derzeit nicht der Fall."

Der Seitenhieb der IWF-Chefin geht in Richtung Euro-Partner, die bisher nicht klargemacht haben, ob und vor allem wie sie den Schuldenberg, der auf Griechenland lastet, durch eine Umstrukturierung der Schulden lindern wollen. Der griechische Finanzminister Euklid Tsakalatos sagte jedenfalls zu, die gesetzten Fristen für Reformen einzuhalten. Es sei "im Interesse aller, schnell zum Abschluss zu kommen".

Meinung:

Qualen müssen sich lohnen

Von SZ-Redakteur Volker Meyer zu Tittingdorf

Jedes Mal, wenn die Auszahlung weiterer Hilfskredite ansteht, droht eine Eskalation - eine neue Griechenlandkrise. Athen ist mit den Reformen nicht im Plan, die Geldgeber pochen auf Einhaltung der Verabredungen - und nach langen Verhandlungen verständigen sich in letzter Minute alle auf ein Weiterwursteln. Das kann doch so nicht immer weitergehen. Dabei macht es sich zu einfach, wer auf die Griechen mit dem Finger zeigt. Denn die Reformen bedeuten hohe Lasten für die Bürger, und die Regierung kann deren Unmut nicht ignorieren. Athen und Brüssel haben noch nicht die notwendige langfristige Lösung gefunden, die zweierlei leistet: dass der griechische Staat für seine Schulden einsteht und dass sich für Griechen die Qualen des Sparens bald lohnen.

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