Internationaler Tag der Pressefreiheit Angriffe, Drohungen, Haft – wenn Journalisten nur noch aus dem Exil berichten können

Köln/Berlin · Der Krieg macht sichtbar, was weltweit immer wieder passiert: Journalisten müssen aus ihrem Land flüchten. Sie kommen auch nach Deutschland – eine Reporterorganisation fordert flexiblere Visa-Lösungen.

Journalisten flüchten aus ihrem Land, weil auf die Ukraine Bomben fallen. Weil sie in Russland nicht mehr alles schreiben können. Oder weil in Afghanistan wieder die Taliban an der Macht sind. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert von der Bundesregierung flexiblere Visa-Lösungen, damit etwa russische Journalisten, die hierherkommen wollen, schnell weiterarbeiten können.

Karolina Ashion ist eine TV-Journalistin aus Kiew und flüchtete nach Senderangaben zu Kriegsbeginn aus der Ukraine. Die 46-Jährige arbeitet nun für die Sender RTL und ntv. Im Online-News-Format „Ukraine Update“ informiert sie auf Ukrainisch. Ashion teilte auf die Frage, ob sie davon ausgehe, dass mehr ukrainische Journalisten flüchten werden, mit: „Keiner weiß, wie sich die Ereignisse entwickeln werden. Gleich zu Beginn, als der Krieg begann, gingen viele meiner Kollegen ins Ausland, auch nach Deutschland.“ Eine genaue Zahl könne sie nicht nennen. „Aber natürlich sind die meisten in der Ukraine geblieben – sie arbeiten weiter und werden weiter arbeiten.“

Der Geschäftsführer des Vereins Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, sagte der dpa: Im Moment seien in der Ukraine selbst noch relativ viele ukrainische Journalisten. „Die meisten wollen immer noch vor Ort arbeiten.“ Anders die Lage in Russland. „Wir erleben dort fast einen regelrechten Zusammenbruch der unabhängigen Medienlandschaft. Viele Journalistinnen und Journalisten und vor allen Dingen komplette Redaktionen verlassen das Land“, sagte Mihr. Trotzdem gebe es in Russland noch Medien, die versuchten, unter höchst widrigen Bedingungen zu arbeiten.

Journalisten und Aktivisten in Russland beklagen seit Kriegsbeginn verstärkte Repressionen. Ein neues Mediengesetz sieht bis zu 15 Jahre Haft für die Verbreitung angeblicher Falschnachrichten über Russlands Streitkräfte vor. Zahlreiche Medien wurden blockiert oder stellten ihre Arbeit ein – darunter der beliebte Radiosender Echo Moskwy.

Auch die bekannte kremlkritische Zeitung Nowaja Gaseta hat ihr Erscheinen unter dem Druck der Behörden ausgesetzt. Chefredakteur und Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow wurde Anfang März in Russland in einem Nachtzug mit Farbe angegriffen und erlitt Verletzungen an den Augen. Ins Ausland geflohene Redakteure des Blatts gründeten die Nachrichtenseite Nowaja Gaseta Europa, die seit Wochen auch auf Russisch über den Krieg berichtet. In Russland selbst wurde die Seite umgehend blockiert.

Das staatliche Vorgehen gegen Andersdenkende in Russland ist seit Kriegsbeginn so massiv geworden, dass kritische Stimmen oft nur noch aus dem Ausland heraus ihre Inhalte verbreiten können. Das emigrierte Team des im Straflager inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny etwa hat vor Wochen eine eigene tägliche Nachrichtensendung auf Youtube ins Leben gerufen. Aus Lettland heraus berichtet zudem das vor allem bei jungen Russen populäre Nachrichtenportal Meduza. Das Medium war bereits vor rund einem Jahr in Russland zum „ausländischen Agenten“ erklärt worden – eine Brandmarkung durch Russlands Behörden, die für die betroffenen Organisationen oft zur Existenzbedrohung wird.

Russische Journalisten, die ihr Land verlassen, gehen laut Reporter ohne Grenzen oftmals zunächst nicht nach Deutschland, sondern in andere Länder, in denen sie keine Visa bräuchten. Auf die Frage, wie viele Exilmedien sich derzeit in Deutschland aufhalten, sagte Mihr: „Es ist eine diffuse Situation aufgrund der Visa-Lage. Fakt ist, dass viele Medien aus Russland hierher wollen.“

Die Organisation fordert: „Die Bundesregierung muss Visumsmöglichkeiten schaffen, die eine Weiterarbeit hier in Deutschland ermöglichen.“ Für existierende Redaktionen, die weiterarbeiten wollen, oder für hier zu gründende Medien. „Man kann nicht auf eine EU-Lösung warten“, sagte Mihr.

Das Bundesinnenministerium teilte mit, dass sich die Rechtslage für Journalisten aus der Ukraine und Russland unterschiedlich darstelle. Mit russischer Staatsangehörigkeit benötige man grundsätzlich ein Visum, um einzureisen und hier einer Arbeit als Journalist nachzugehen. Sofern im Einzelfall die Voraussetzungen für ein Visum zum Zweck der Ausübung einer Beschäftigung vorliegen, könne das bei deutschen Auslandsvertretungen beantragt werden. „Ob und unter welchen Voraussetzungen für besonders gefährdete russische Staatsangehörige weitere Einreisemöglichkeiten eröffnet werden, wird derzeit innerhalb der Bundesregierung intensiv beraten“, teilte ein Ministeriumssprecher weiter mit.

Ukrainische Staatsangehörige, die vor Kriegsbeginn in der Ukraine ihren Aufenthaltsort hatten, dürfen laut Ministerium aufgrund einer Verordnung des Hauses aus dem März derzeit visumfrei ins Bundesgebiet einreisen und erhalten hier auf Antrag eine Aufenthaltserlaubnis, die zur Erwerbstätigkeit berechtige.

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Dass Journalisten aus ihrem Land flüchten, ist nicht neu. Im vergangenen Jahr sei die Aufmerksamkeit für betroffene afghanische Medienleute geringer gewesen, sagte RSF-Geschäftsführer Mihr. „Trotzdem ist es so, dass praktisch die halbe frühere Medienlandschaft in Afghanistan zusammengebrochen ist und davon die Hälfte auch in Deutschland ist, darunter renommierte preisgekrönte Journalisten.“ Oft fehle es Redaktionen, die teilweise komplett das Land verlassen wollen, an Unterstützung, selbst wenn sie vielleicht Visa bekommen. RSF rief mit der Schöpflin Stiftung und Rudolf Augstein Stiftung deshalb jüngst einen Fonds ins Leben (JX Fund).

Die Körber-Stiftung beschreibt in einem neuen Lagebericht zu Exiljournalismus in Europa, dass es keine exakten Zahlen der geflüchteten Journalisten gebe. „Noch unklar ist, welche Folgen der Angriff der russischen Armee auf die Ukraine und die kriegsbedingt verschärften Gesetze zur Einschränkung der Pressefreiheit und freien Meinungsäußerung in Russland haben werden. Schon jetzt, in den ersten Wochen nach Beginn des Krieges, haben bereits mehrere Tausend Intellektuelle Russland verlassen, darunter auch zahlreiche Journalisten.“

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