Zweite Chance für den Propheten des Wandels

Als im Sommer des Jahres 2004 ein bis dahin nahezu unbekannter junger Senator auf dem Parteitag der US-Demokraten in Boston seine Jungfernrede hielt, raunte sich die Menschen im Saal zu: Der kann ein ganz Großer werden. Das erste Kapitel der Erfolgsstory Barack Obamas wurde vier Jahre später geschrieben, das zweite folgte in der Nacht zu Mittwoch. Um Punkt 23

Als im Sommer des Jahres 2004 ein bis dahin nahezu unbekannter junger Senator auf dem Parteitag der US-Demokraten in Boston seine Jungfernrede hielt, raunte sich die Menschen im Saal zu: Der kann ein ganz Großer werden. Das erste Kapitel der Erfolgsstory Barack Obamas wurde vier Jahre später geschrieben, das zweite folgte in der Nacht zu Mittwoch. Um Punkt 23.15 Uhr Ostküstenzeit, schneller als erwartet, überschreitet Barack Obama nach einer CNN-Prognose durch die Siege in Iowa und Ohio die magische Zahl von 270 Wahlmännern, die er zum Sieg braucht.In seinem Hauptquartier in Chicago liegen sich die Menschen wieder weinend in den Armen, so wie sie dies 2008 im nahen Grant Park getan haben. Sie machen das "V"-Zeichen für "Victory" und skandieren "four more years" ("vier weitere Jahre"). Szenen, die sich in anderen US-Metropolen wiederholen. Denn die Erfolgsstory des Barack Obama - vom Sozialarbeiter in den Armenvierteln Chicagos zum globalen Superstar - geht weiter, auch wenn seine Auftritte und Rhetorik heute nicht mehr vom strahlenden Weltveränderer-Image geprägt werden. Zu sehr haben die Realitäten - vor allem die nur langsame Erholung des Arbeitsmarktes und die Blockadepolitik der Opposition - sein Denken geprägt. Er habe damals gesagt, dass es nicht einfach werde, betonte Obama in den letzten Tagen vor der Wahl immer wieder. Es sollte Baldrian für enttäuschte Anhänger sein. Und es wirkte.

Als er dann eine halbe Stunde nach Mitternacht mit seiner Familie auf der Bühne steht, applaudiert er der jubelnden Menge im Kongresszentrum und sagt: "Ihr habt es möglich gemacht." Nach einer Liebeserklärung an die First Lady und seine Töchter betont er aber auch: "Wir haben jede Menge Arbeit zu tun." Es ist das indirekte Eingeständnis, noch lange nicht am Ziel zu sein. Doch die Basis honorierte am Wahltag, dass sich seine Bilanz durchaus sehen lassen kann. Mit einem 800 Milliarden Dollar schweren Förderprogramm konnte Obama den wirtschaftlichen Niedergang des Landes abfedern, half der US-Autoindustrie mit einer Milliardenspritze. Mit der Gesundheitsreform wagte sich Obama zudem an ein heikles Thema, an dem sich andere US-Präsidenten vergeblich versucht hatten.

Beim Versuch, diese Erfolgsbotschaften wirksam unters Volk zu bringen, profitierte Obama erneut von einem fast perfekten Kampagnen-Management. Seine Bodentruppen rieben sich für ihn auf, obwohl es diesmal nur das eher schwammige Motto "Forward" ("Vorwärts") als Slogan gab. Und die Afro-Amerikaner halten ihm, was die Wahlbeteiligung zeigt, weiter eisern die Treue. In Ohio, dem größten Preis des Wahlabends, und Michigan halfen ihm dazu sein klares Bekenntnis zur Rettung der Automobilindustrie durch Staatshilfen. In Pennsylvania, das Romney in den letzten Tagen stark ins Visier genommen hatte, überraschte am Ende die Fähigkeit Obamas, immer noch die Basis der Farbigen stark mobilisieren zu können. Geholfen hat dem Präsidenten auch die Nostalgie: Zuletzt wurden in den Swing-States immer wieder Videoclips aus dem Jahr 2008 gespielt - gefolgt mit dem Hinweis, dass er immerhin für langsam greifende Veränderungen stehe, während man über Romneys Pläne doch nur Widersprüchliches höre.

Der einstige Prophet des Wandels ist in seiner ersten Amtszeit zu einem Pragmatiker geworden, der seine Grenzen in einem heillos zerstrittenen Washington erkannt hat und nun in den kommenden vier Jahren erneut versuchen muss, jene Brücken zu schlagen, die er bisher nicht errichten konnte. Leichter wird dies nicht, denn die Republikaner schafften es in dieser für sie frustrierenden Nacht zumindest, das Repräsentantenhaus zu halten. Das spricht für einen engen Spielraum Obamas und schwierige Zeiten bei einer der wichtigsten Herausforderungen, der Begrenzung der weiter anwachsenden Staatsschulden. Zwar reichte der republikanische Repräsentantenhaus-Sprecher John Boehner Obama noch in der Wahlnacht einen Ölzweig und sagte, man müsse zu Kompromissen der Arbeitsplätze zuliebe kommen. Doch solche Verständigungsversuche hatten bislang nur ein kurzes Leben.

Viel wird deshalb davon abhängen, ob sich der Wahlsieger in wichtigen innenpolitischen Fragen konzessionsbereiter als bisher zeigt, weil US-Präsidenten in ihrer zweiten Amtszeit traditionell auch auf das Bild in den Geschichtsbüchern schielen und nicht mehr auf ihre Wahlklientel Rücksicht nehmen müssen. "Ob ihr ein Obama- oder Romney-Zeichen hochgehalten habt, ihr habt eurer Stimme Gehör verschafft", sagt Barack Obama in seiner Siegesrede. Man habe doch nur deshalb so hart gekämpft, weil beiden Seiten das Wohl Amerikas am Herzen liege.

"Wir brauchen Kompromisse, um dieses Land nach vorn zu bringen", appelliert er auch an Amerikas Konservative, "das Beste kommt noch". Und: "Wir sind doch die Vereinigten Staaten von Amerika." "Wir brauchen Kompromisse, um dieses Land nach

vorn zu bringen."

Barack Obama an die Adresse der Konservativen

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