"Zusatzleistungen nicht verteufeln"

Herr Köhler, die Kassen stufen viele IGeL-Leistungen sogar als schädlich ein. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?Andreas Köhler: Ganz klar: Entscheidend ist die persönliche Situation des Patienten, ob eine IGeL-Leistung nutzt oder eben nicht. Ein sorgfältiger und sorgsamer Umgang mit IGeL ist notwendig

 Andreas Köhler, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung. Foto: dpa

Andreas Köhler, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung. Foto: dpa

Herr Köhler, die Kassen stufen viele IGeL-Leistungen sogar als schädlich ein. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?Andreas Köhler: Ganz klar: Entscheidend ist die persönliche Situation des Patienten, ob eine IGeL-Leistung nutzt oder eben nicht. Ein sorgfältiger und sorgsamer Umgang mit IGeL ist notwendig. Um hier Ärzten und Patienten Orientierungshilfen zu geben, denken wir über eine neutrale Zertifizierung nach.

An was denken Sie dabei konkret?

Köhler: Da gibt es viele Möglichkeiten: ein wissenschaftliches Institut oder eine von Ärzteschaft und Krankenkassen beauftragte Institution, um nur einige Optionen zu nennen.

Fest steht, dass bei vielen Leistungen ausreichende Studien über die Wirkungsweise fehlen. Warum werden sie trotzdem offeriert?

Köhler: Die individuellen Gesundheitsleistungen sind nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten. Sie können aber für den Patienten in seiner besonderen Situation medizinisch sinnvoll sein. Man darf IGeL nicht generell verteufeln. Allerdings brauchen wir, brauchen Ärzte und Patienten Leitlinien, an denen sie sich orientieren können. Auch vor diesem Hintergrund würde eine Zertifizierung Sinn machen.

Die Zusatzangebote sind schon länger umstritten. Kritiker sagen, dass sie in erster Linie den wirtschaftlichen Interessen der Ärzte dienen.

Köhler: Diese Darstellung ist falsch und einseitig. Aber genau dieses Gefühl darf beim Patienten nicht aufkommen. Er braucht Informationen. Hier empfehle ich die Broschüre "Selbst zahlen?", die das Ärztliche Zentrum für Qualität im Auftrag von Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Bundesärztekammer herausgegeben hat.

Die Chefin des Kassen-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, klagt, dass Patienten massiv bedrängt würden, entsprechende Leistungen in Anspruch zu nehmen. Ist das ein flächendeckendes Phänomen?

Köhler: Die Zahl der Patienten, denen eine IGeL-Leistung vom Arzt angeboten wurde, hat zugenommen. Das hat unsere Versichertenbefragung des vergangenen Jahres gezeigt. Von einem "massiven Bedrängen" möchte ich nicht sprechen. Es handelt sich auch nicht um eine flächendeckende Praxis. Wir als Ärzteschaft müssen aber sensibel mit diesem Thema umgehen. Das Vertrauen der Patienten darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.

Die Kassen sagen, dass alle medizinisch notwendigen Leistungen von ihnen bezahlt würden. Demnach wären alle IGeL-Angebote medizinisch überflüssig. Teilen Sie diese Einschätzung?

Köhler: Nein. IGeL bieten Chancen - für die individuelle Heilung des Patienten, aber auch für Innovationen im Gesundheitswesen. Man darf das Thema nicht generell verteufeln.

Die Kassen fordern, dass Patienten wenigstens einen Tag Bedenkzeit haben müssten, ob sie das Angebot wahrnehmen oder nicht. Außerdem müsse es eine schriftliche Vereinbarung geben. Was halten Sie davon?

 Andreas Köhler, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung. Foto: dpa

Andreas Köhler, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung. Foto: dpa

Köhler: Selbstverständlich muss der Patient Zeit haben, um sich zu entscheiden und das Für und Wider abwägen zu können. Wie stark formalisiert dieser Vorgang sein soll, müsste man prüfen. Nochmals: Wir brauchen klare Leitlinien in der Bewertung von IGeL-Leistungen. Je klarer und eindeutiger diese sind, umso weniger Formalismus und damit Bürokratie wird notwendig sein.

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