Zum Abschied eine Mahnung

Washington · Den wichtigsten Adressaten seiner Rede erwähnt Barack Obama nur ein einziges Mal. Dabei ist eigentlich alles, was er bei seinem letzten großen Auftritt im Amt zu sagen hat, auf Donald Trump gemünzt. Der scheidende US-Präsident gibt seinem Nachfolger eine Lektion mit auf den Weg, stilvolle Ermahnungen in Sachen Demokratie .

"Du wirst einen Menschen nie wirklich verstehen, bis du die Dinge einmal von seinem Standpunkt aus betrachtest, bis du in seine Haut schlüpfst und in ihr herumläufst", zitiert er Harper Lees Romanhelden Atticus Finch ("Wer die Nachtigall stört"). Demokratie verlange ein Mindestmaß an Solidarität, betonte Obama. In der US-Geschichte aber habe es immer wieder Momente gegeben, in denen das Band der Solidarität zu reißen drohe. Jetzt erlebe man erneut einen solchen Moment: Wachsende soziale Ungleichheit, demografischer Wandel und das Schreckgespenst des Terrors, "diese Kräfte haben nicht nur unsere Sicherheit und unseren Wohlstand auf die Probe gestellt, sondern auch unsere Demokratie ". Die aber könne auf Dauer nicht funktionieren, ohne dass ein jeder das Gefühl habe, wirtschaftlich etwas erreichen zu können. Sie korrodiere, wenn die Ungleichheit allzu krass werde, wenn das eine Prozent der Reichsten sich einen immer größeren Teil des Wohlstands aneigne, während zu viele Benachteiligte abgehängt würden, sagt er und klingt wie Bernie Sanders, der linke Wahlkampfrivale Hillary Clintons. Wenn jedes ökonomische Problem als Kampf zwischen hart arbeitenden weißen Mittelschichten und unwürdigen Minderheiten dargestellt werde, sagt er, auf Trumps populistische Parolen anspielend, "dann streiten sich Arbeiter aller Hautschattierungen am Ende nur noch um die Krümel, während sich die Wohlhabenden immer weiter in ihren privaten Enklaven einigeln".

Nicht weniger deutlich klingt die Warnung vor dem Glauben, dass starke Männer es schon irgendwie richten werden. Autokraten, die in freien Märkten und offenen Zivilgesellschaften eine Bedrohung ihrer Macht sähen, forderten die liberale Weltordnung ebenso heraus wie Fanatiker, die sich auf den Islam beriefen. Die Gefahr, die davon für die Demokratie ausgehe, sei größer als eine Autobombe. "Die Demokratie ", sagt Barack Obama , "kann kippen, wenn wir der Angst nachgeben."

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