Zeitenwende bei den Grünen

Berlin · Die Grünen im Bundestag haben ihren bisherigen Verkehrsexperten Anton Hofreiter und die Spitzenkandidatin des Wahlkampfs, Katrin Göring-Eckardt, zu ihren Vorsitzenden gewählt.

Am Anfang stand der Abschied. Bevor sich die Tür zum Fraktionssaal der Grünen gestern im Bundestag schloss, gaben die scheidenden Vorsitzenden Renate Künast und Jürgen Trittin noch ein kurzes Statement ab. Künast sprach von einem "etwas komischen Tag", aber auch von einem "Befreiungsgefühl". Trittin erklärte, nun müssten "andere den Karren ziehen". Beide zogen damit die Konsequenz aus dem enttäuschenden Wahlergebnis.

Zeitenwende bei den Grünen. Während Künast und Trittin noch ein bisschen flachsten, schwenkten einige Kameras schon auf die erklärten Nachfolger um, die sich gerade ihren Weg durch den Pulk bahnten. Auf Toni Hofreiter, den 43-jährigen Verkehrsexperten mit langem blonden Haar. Optisch verkörpert er noch die grünen Anfangsjahre. Und auch politisch steht er für den linken Parteiflügel. Der hatte Hofreiter schon länger als Nachfolger Trittins auserkoren. Ohne direkten Gegenkandidaten war seine Wahl drinnen im Saal dann nur noch Formsache.

Anders sah es bei der Co-Kandidatur aus, die dem Realo- Lager zufällt. Nach dem "Links-Rechts-und-Frau-Mann-Schema" musste sie den weiblichen Teil der Doppelspitze bilden. Und da drängten sich zwei Bewerberinnen ins Bild: Katrin-Göring-Eckardt, einstige DDR-Bürgerrechtlerin aus kirchlichem Milieu, und Kerstin Andreae, studierte Volkswirtin aus Baden-Württemberg.

Gern hätten sich die Realos mit nur einer Favoritin begnügt. Doch alle Absprache-Versuche schlugen fehl. Noch am Vorabend hatten die Realos mehr als drei Stunden zusammengehockt. Aber am Ende gab es kein förmliches Votum. Nach Angaben von Teilnehmern hatten sich Andreae und Göring-Eckardt in ihren Bewerbungsreden ohnehin kaum voneinander unterschieden. Bei Göring-Eckardt empfand das mancher als "wundersame Wandlung". Denn während Andreae schon immer für einen wirtschaftsfreundlichen Kurs stand, hatte Göring-Eckardt im Wahlkampf die soziale Flanke nach dem Geschmack vieler Realos überbetont. Ihr wird eine gehörige Mitschuld für das schlechte Abschneiden angelastet.

Dass sie sich bei der Abstimmung in der Fraktion am Ende klar mit 41 zu 20 Stimmen durchsetzen konnte, obwohl die Realos dort leicht in der Überzahl sind, hängt mit linker Schützenhilfe zusammen, aber auch mit landsmannschaftlichen Befindlichkeiten. Bei den Linken ist Göring-Eckardt gerade wegen ihrer sozialen "Wandlung" besser gelitten als An dreae. Und so mancher auch bei den Realos fürchtete eine baden-württembergische Übermacht: Winfried Kretschmann ist Ministerpräsident im Südwesten, Cem Özdemir, der sich einen anatolischen Schwaben nennt, ist Parteichef. Mit Andreae wären es drei Südwestler in führender Position gewesen.

Am Ende traten Göring-Eckardt und Hofreiter vor die "grüne Wand", an der zweieinhalb Stunden zuvor noch Künast und Trittin gestanden hatten. Von einem "Aufbruch" war bei ihnen die Rede und von einem "überzeugenden Wahlergebnis", das eine "große Verantwortung" bedeute.

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