Zankapfel Saarfrage

Saarbrücken · Vor sechs Jahrzehnten entschieden sich die Saarländer für die Angliederung an Deutschland. Die SZ hat zwei Wahlkämpfer der historischen Stunde zusammengebracht: den Saarstatut-Befürworter Arno Krause (85) und den Neinsager Klaus Altme yer (89).

 Zwei Zeitzeugen der Saar-Abstimmung: Arno Krause und Klaus Altmeyer im Historischen Museum Saar in Saarbrücken Foto: Iris Maurer

Zwei Zeitzeugen der Saar-Abstimmung: Arno Krause und Klaus Altmeyer im Historischen Museum Saar in Saarbrücken Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

Zur unversöhnlichen Foto-Pose - Rücken gegen Rücken - muss man die beiden überreden. Während des dreimonatigen Abstimmungskampfes und auch davor seien sie sich nie persönlich begegnet, sagen Klaus Altmeyer (89) und Arno Krause (85). Auch wurden die beiden nie tätlich angegriffen, und also sind sich die beiden bereits nach drei Minuten erstmals einig: Die Bilder- und Plakatschlacht 1955 für oder wider ein (halb)autonomes Saarland peitschte zwar gezielt Emotionen hoch, doch die "feindlichen" Lager schätzten am jeweils anderen zumindest eins: "Wir waren alle Überzeugungstäter."

Haben 60 Jahre und die intensive landesgeschichtliche Forschung die Sicht auf das "Schicksalsjahr" 1955 verändert? Nein. Beide sagen immer noch Ja und Nein, doch man tauscht keine Argumente mehr aus, sondern hakt ein, stellt klar, widerspricht. Altmeyer und Krause geht es nicht mehr wirklich ums Rechthaben und Rechtbehalten, sondern um die Vermittlung historischer Wahrheit.

Ein wenig zurechtrücken möchten beide unisono die in Geschichtsbüchern und in Medien vorherrschende Darstellung einer Familien- und Dorfgemeinschaften zerreißenden Abstimmungsschlacht: Das sei doch zu sehr mit dem Hollywood-Großwand-Pinsel gemalt, meinen sie. Sicher, erinnert sich Arno Krause, damals Hauptprotagonist der Europabewegung, seine Sekretärin sei einmal mit einem blauen Auge aufgetaucht, weil ihre Brüder - Neinsager - sie davon abhalten wollten, zu den Statut-Befürwortern zur Arbeit zu gehen. Doch den viel beschworenen endgültigen Riss durch Familien und Ehen hat keiner der beiden beobachtet.

Und im Nachhinein? Das Saarstatut trug Vorsorge, dass keiner unterlegenen Partei Nachteile erwachsen durften. "Es gab keine Abstimmungsgewinnler", sagt Altmeyer. Krause erklärt: "Nachdem unsere Niederlage klar war, habe ich sofort gesagt: Jetzt geht es eben mit Deutschland nach Europa." Das war just der Slogan der Neinsager, der Gegner. Altmeyer erläutert die Haltung, die er bis heute teilt: Mit einem zusätzlichen Zwitter-Staat wie dem durch das Statut geschaffenen Saarland hätte Europa kaum zusammengefunden. Altmeyer verblüfft mit der Feststellung, er selbst sei frühes Mitglied der Europa-Union gewesen, deren Generalsekretär Krause 1951 wurde.

Generell würde man den frankophilen Altmeyer, der in Dijon und Paris studiert hatte, eher bei den Jasagern verorten. Doch er hatte unmittelbar erfahren: "Ich wurde in Frankreich als Deutscher gesehen. Auch die politische Führung wollte mit Deutschland Kontakt, nicht mit dem Saarland." Keiner hätte das Saarland ernst genommen, meint er. Also war das Statut ein Irrweg für Träumer? "Niemals wäre es zur im Statut zugesicherten Gründung europäischer Insitutionen im Saarland gekommen", sagt Altmeyer. "Das war nur eine Floskel." Bis heute gebe es nur das Europäische Patentamt in München und die Europäische Zentralbank in Frankfurt. Krause schüttelt vehement den Kopf: "So kann man natürlich alles vom Tisch wischen. Es gab doch eine vertragliche Zusicherung!" Seines Erachtens wäre dem Saarland trotzdem nicht die Rolle Luxemburgs zugefallen. Krause weigert sich, Spekulationen über blühende saarländische Landschaften anzustellen, und die Verhinderer, die Neinsager, nachträglich mit Häme zu überziehen. Denn Geschichte verlaufe "unberechenbar".

Und wie haben die beiden, damals 25 und 29 Jahre alt, den Tag der Entscheidung, den 23. Oktober, erlebt? Fackelmärsche, Dankgebete, Freudenfeuer - man kennt diese pathetischen historischen Bilder. Fehlanzeige. Weder Krause noch Altmeyer durchlebten Schicksalsstunden. Denn beide ahnten bereits den Ausgang. Laut Altmeyer hatte eine Emnid-Umfrage bereits vor dem heißen Wahlkampf gezeigt, dass seine Partei im Saarland mit Adenauers Kurs - er riet den Bürgern, das Statut anzunehmen -, nur untergehen würde. Der Bundeskanzler hatte das Statut mit Frankreich ausgehandelt, um den Zankapfel Saarfrage auf dem Weg in die Nato loszuwerden. Die saarländische Heimatfront-CDU arbeitete also gegen den Kurs des eigenen Kanzlers. Altmeyer dazu: "Ich war Saarländer, ich hatte Bodenhaftung, wir entschieden uns für Pragmatismus."

Den Nachmittag des 23. Oktober verbrachte Altmeyer in der Parteizentrale in der Saarbrücker Dudweilerstraße, angereist war der junge Helmut Kohl samt "seinem Mädchen" Hannelore", es waren die "Untergrundhelfer" aus der Pfalz in der Zeit, als im französisch dominierten und von Johannes Hoffmann (Joho) regierten Saarland deutsche Parteien verboten waren.

Altmeyer erinnert sich: "Die Abstimmungstabellen im Landtag haben wir nur noch registriert. Triumphgefühle kamen nicht auf." Krause saß derweil am Bübinger Berg in einem Café, mit dem Ohr am Radio. "Ich wusste schon lange, wir können nicht gewinnen", sagt er. Spätestens seit ihn ein Mann, der es gut mit ihm meinte, auf einer Wahlkampfveranstaltung in Tholey angesprochen hatte: "Junger Mann, merken Sie nicht, Sie sitzen auf dem falschen Pferd." "Es war eine Abstimmung mit reinem politischen Herzen", sagt denn auch Altmeyer. Und meint damit wohl: Karrieristen bildeten die Ausnahme. Wahrlich, es waren turbulente, aber wohl auch glückliche Zeiten.

 Kanzler Konrad Adenauer unterstützte die Statut-Befürworter. Foto: Archiv Schommer

Kanzler Konrad Adenauer unterstützte die Statut-Befürworter. Foto: Archiv Schommer

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 Werbung für das Nein zu Saarstatut – ein Wahlplakat der DPS (liberal). Foto: Archiv

Werbung für das Nein zu Saarstatut – ein Wahlplakat der DPS (liberal). Foto: Archiv

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 Hochemotionaler Wahlkampf: Krawalle wie hier in Neunkirchen begleiteten den Ja- und Neinsager-Kampf. Foto: Archiv

Hochemotionaler Wahlkampf: Krawalle wie hier in Neunkirchen begleiteten den Ja- und Neinsager-Kampf. Foto: Archiv

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HintergrundWas war das Saarstatut? Es wurde zwischen Deutschland und Frankreich vereinbart und galt als Voraussetzung für ein souveränes Deutschland und dessen Eintritt in die Nato . Vorgesehen war ein europäischer Status/Anlehnung an die Westeuropäische Union (WEU). Ein europäischer Kommissar sollte das Saarland auf europäischer Ebene vertreten (Außenpolitik/Verteidigungspolitik). Die Währungsunion mit Frankreich sollte bestehen bleiben, die wirtschaftliche Kooperation mit Deutschland verstärkt werden, eine autonome Saarregierung fortbestehen (Status Quo). Europäische Institutionen sollten sich in Saarbrücken ansiedeln. Jasager waren die Regierungsparteien CVP (Johannes Hoffmann) und SPS (Richard Kirn). Die bis Juli 1954 verbotenen "deutschen" Parteien bildeten die "Deutsche Heimatfront": DPS (Deutsche Partei Saar, liberal, Heinrich Schneider), DSP (Deutsche Sozialdemokratische Partei DSP, Kurt Conrad) und CDU (Dr. Hubert Ney). Zusätzlich trat die KPD für die Ablehnung ein.ce

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