„Zäune lösen das Problem nicht“

Paris/London · Frankreich und Großbritannien haben gestern eine engere Zusammenarbeit in Calais vereinbart, um tausende Menschen an der Flucht über den Ärmelkanal zu hindern. Hilfsorganisationen sind allerdings skeptisch, ob Überwachungskameras und Polizisten das Flüchtlingsproblem lösen können.

Gleich zu Beginn war klar, was dieser Tag für die nordfranzösische Hafenstadt Calais bringen wird. Polizisten standen aufgereiht vor dem Eingangsbereich zum Eurotunnel , um sich vom französischen Innenminister Bernard Cazeneuve und seiner britischen Kollegin Theresa May die Hand schütteln zu lassen. "Es soll hier von Calais aus das starke Signal ausgehen, dass man die Grenze nicht passieren kann", sagte Cazeneuve.

Eine noch stärkere Sicherung des Eingangs zum Eurotunnel mit Polizei , Überwachungskameras und Infrarotgeräten ist die französisch-britische Antwort auf die Flüchtlingskrise in Calais. Im Zentrum der Vereinbarung, die die beiden Politiker gestern unterschrieben, steht auch der Kampf gegen Schleuser. Dieser soll unter anderem mit der Einrichtung eines gemeinsamen Kommando- und Kontrollzentrums verstärkt werden. Polizisten und Grenzschützer beider Länder würden künftig Informationen sammeln, auswerten und das Vorgehen am Ärmelkanal koordinieren. Geleitet wird die Zentrale von einem französischen und einem britischen Beamten. "Wir müssen diese kriminellen Banden zerschlagen", sagte May. In Calais versuchen Sudanesen, Syrer, Afghanen und Eritreer seit Monaten jede Nacht auf Fähren oder durch den Eurotunnel nach Großbritannien zu gelangen. Rund 2000 Fluchtversuche zählte die Eurotunnel-Betreibergesellschaft Ende Juli pro Nacht. Inzwischen sollen es nur noch bis zu 200 sein.

Noch größere Risiken

Rund 3000 Flüchtlinge warten derzeit in einem Lager bei Calais unter miserablen Bedingungen auf ihre Chance, nach Großbritannien zu gelangen. Mindestens neun starben bei dem Versuch bereits seit Jahresanfang. Dass es mit den vereinbarten Sicherheitsmaßnahmen nun weniger Flüchtlinge werden, glauben die Hilfsorganisationen nicht. "Zäune lösen das Problem nicht", sagte Vincent Cochetel, der Leiter der Europa-Abteilung des UN-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR, Anfang August. "Sie fordern die Menschen nur heraus, noch größere Risiken einzugehen."

Samuel Prieur von der Hilfsorganisation Secours Catholique in der Region Nord-Pas de Calais teilt seine Einschätzung. "Ein Teil der Flüchtlinge wird weiter versuchen, um jeden Preis nach England zu kommen", bemerkt er. "Ein anderer Teil könnte versuchen, in Frankreich zu bleiben, wenn die Aufnahmebedingungen gegeben sind." Rund 900 Menschen beantragten laut Cazeneuve inzwischen Asyl in Frankreich. Secours Catholique und andere Hilfsorganisationen helfen bei dem Antrag. "Das hier sind keine Banditen. Es sind Menschen der afrikanischen Mittelschicht, für die die Flucht der einzige Ausweg war", sagt Prieur. Und auch wenn vor einigen Wochen die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt wurden, lassen sich die Flüchtlinge nicht abschrecken.

Sie landen sieben Kilometer außerhalb von Calais auf einer ehemaligen Müllkippe unter Plastikplanen. "Neuer Dschungel" heißt das Lager, das von den Behörden geduldet wird. Direkt daneben liegt das Zentrum Jules Ferry , wo sich die Flüchtlinge tagsüber aufhalten können, um zu duschen und ihre Handys aufzuladen. Bis zu 2000 Mahlzeiten werden dort täglich an die Flüchtlinge ausgegeben, von denen damit nicht jeder satt wird. Auch die 110 Aufnahmeplätze für Frauen und Kinder reichen bei weitem nicht aus. Das UNHCR forderte Frankreich Anfang August auf, mehr für die Flüchtlinge in Calais zu tun.

Cazeneuve und May kündigten nun auch humanitäre Hilfe an. So sollen Frauen und Kinder besser untergebracht werden. Großbritannien will außerdem beim Bau neuer Unterkünfte helfen, die "in beträchtlicher Entfernung" zu Calais liegen sollen, um so die Hafenstadt zu entlasten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort