Wird de Maizière zum Pinocchio?

Berlin · Man habe „keine Erkenntnisse zu Wirtschaftsspionage durch die NSA“: Das erklärte die Regierung bis zuletzt auf Anfragen aus dem Parlament. Linke und Grüne fühlen sich belogen.

 Für die Opposition ist der Fall klar: Innenminister de Maizière hat in der BND-Affäre gelogen. Foto: ActionPress, Montage: SZ

Für die Opposition ist der Fall klar: Innenminister de Maizière hat in der BND-Affäre gelogen. Foto: ActionPress, Montage: SZ

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Eigentlich sollte es ein entspannter Termin für Thomas de Maizière werden. In der hessischen Landesvertretung in Berlin wollte der Innen- und Sportminister gestern Morgen Sport-Briefmarken vorstellen. Doch es kam, wie es kommen musste angesichts neuer Schlagzeilen zur BND- und NSA-Affäre: Kurzerhand hielt de Maizière vor dem Gebäude eine Pressekonferenz ab. Es gebe "Unterstellungen", die unwahr seien, meinte der Minister gewohnt kühl. "Ich bin deswegen gerne bereit, den zuständigen parlamentarischen Gremien umfassend Auskunft zu geben über mein Wissen und meine Erinnerung."

Das war sozusagen de Maizières Flucht nach vorn. Zuvor hatte ihn eine große Boulevardzeitung mit langer Pinocchio-Lügennase dargestellt. Ein medialer Schlag in die Magengrube des 61-Jährigen, was seitens der Bundesregierung mit Schrecken zur Kenntnis genommen worden war. Kurzerhand wurde noch am Morgen die Strategie zum Umgang mit den Vorwürfen festgezurrt. Bis vor Kurzem noch hatte das von de Maizière geführte Innenministerium auf mehrere parlamentarische Anfragen der Linksfraktion erklärt, es gebe keine Informationen zu einer angeblichen Wirtschaftsspionage durch den US-Geheimdienst NSA. Zuletzt am 14. April. Dabei wusste das Kanzleramt schon seit Jahren von rechtswidrigen Spähversuchen der Amerikaner gegen europäische Politiker und Firmen - mit absichtlicher oder unabsichtlicher Hilfe des BND. Das hatte sich in den vergangen Tagen herausgestellt.

Wie also mit den Vorwürfen verfahren? Regierungssprecher Steffen Seibert oblag es gestern, in der Bundespressekonferenz dazu möglichst wenig zu sagen, am besten jegliche Nachfrage uneindeutig zu umschiffen oder abzuwehren. Seibert betonte: "Die Bundesregierung informiert das Parlament immer nach bestem Wissen und Gewissen." Er weise nachdrücklich die Behauptung zurück, die Regierung habe die Unwahrheit gesagt. Am 23. April habe er, Seibert, erklärt, dass das Kanzleramt prüfe, ob die Antworten auf Fragen aus dem Parlament zum Spionage-Sachverhalt "weiter uneingeschränkt Bestand haben". Schluss, Aus, längeres Schweigen. Später schmetterte Seibert jede Nachfrage mit dem Verweis ab, dass er auf inhaltliche Fragen nicht eingehen könne, "weil sie nachrichtendienstliche Sachverhalte" und als geheim eingestufte Dokumente beträfen. Ähnlich äußerte sich auch de Maizières Sprecher, allerdings "der Form halber" um den Hinweis ergänzt, Antworten auf parlamentarische Anfragen würden immer im Namen der gesamten Bundesregierung gegeben.

Geteiltes Leid ist nun mal halbes Leid. Noch. Für den ansonsten so peniblen de Maizière steht viel auf dem Spiel - eventuell seine politische Karriere. Mögliche Ambitionen auf die Nachfolge Merkels kann er im Moment jedenfalls wohl vergessen. Auch der Innenminister betonte bei seinem Statement, die Informationen, "um die es hier geht", stammten aus Unterlagen, die als "Geheim" oder "Streng Geheim" eingestuft seien. "Deswegen bin ich außerstande, mich öffentlich zu diesen Vorwürfen oder Fragen zu äußern." Das will er nun im NSA-Untersuchungsausschuss tun. Die Opposition, die ihn gestern der Lüge bezichtigte, wird ihn dort wohl kaum ungeschoren davonkommen lassen.

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