„Wir sind gekommen, um Liebe zu pflanzen“

Am Tag eins nach dem Wahlerfolg seiner AKP setzt Recep Tayyip Erdogan ein Zeichen: Direkt nach dem Morgengebet besucht der türkische Präsident das Mausoleum des Eyüp Sultan in Istanbul, eine heilige Stätte im Islam - und der Ort, an dem zur osmanischen Zeit die neuen Sultane mit dem Schwert des Propheten Mohammed gegürtet wurden.

Die Geste unterstreicht den Machtanspruch der AKP, die tags zuvor jede zweite Stimme erhalten hat. Der "Wille der Nation" habe sich für die Stabilität entschieden, sagt Erdogan. "Die Welt soll das Wahlergebnis akzeptieren."

Der 61-jährige Staatspräsident und AKP-Gründer demonstriert Selbstbewusstsein. Er hat allen Grund dazu. Mit 49,3 Prozent der Wählerstimmen und 315 von 550 Abgeordneten im neuen Parlament hat die AKP ihre beherrschende Stellung im Land wieder hergestellt. Beobachter waren sich einig, dass dies mitunter an der harten Linie in der Kurdenpolitik lag, die Erdogan nach der Juni-Wahl eingeschlagen hatte. So konnte er nationalistische Wähler gewinnen. Dass die Kurdenrebellen mit Terrorakten reagierten und auch die Dschihadisten-Miliz Islamischer Staat Anschläge verübte, spielte Erdogan in die Karten. Angst vor Gewalt und Chaos herrschten fortan im Land - und der Staatschef konnte sich als Retter inszenieren.

Einige Kritiker der AKP befürchten nun aber, dass die tiefen Gräben im Land nicht mehr zu kitten seien. Noch in der Wahlnacht brannten in Diyarbakir, einer Kurdenhochburg in Südosten der Türkei, die Barrikaden. Demonstranten gerieten dort mit der Polizei aneinander. Intelektuelle wie der Dichter Yilmaz Odabasi teilten zudem mit, dass sie auswandern werden. "Wir können nicht jemanden verändern, der sich nicht verändern will", sagte auch Komponist Fazil Say.

Erdogans Gegner fürchten, dass der autoritäre Präsident ab sofort noch "rücksichtsloser" auftreten werde. Nicht zu Unrecht: Bereits gestern bekam das Magazin "Nokta" Besuch von der Polizei . Bei einer Razzia wurden zwei leitende Redakteure festgenommen, die aktuelle Ausgabe beschlagnahmt. Das Titelbild zeigte Erdogan mit der Aufschrift: "Montag, 2. November, Beginn des türkischen Bürgerkrieges".

Doch soweit soll es nicht kommen. Das versprach der alte und neue Ministerpräsident, Ahmet Davutoglu , tausenden AKP-Anhängern vor der Parteizentrale zu, die "Allahu Akbar" ("Gott ist groß") und "Die Türkei ist stolz auf Dich" skandierten. Überwältigt warb Davutoglu dann noch für das Lieblingsprojekt der Partei: Eine neue Verfassung für die Türkei - mit mehr Macht für Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan . Eine "zivile und freiheitliche Verfassung" solle die "Putschverfassung" von 1982 aus der Militärdiktatur ersetzen, sagte er.

Ziel der AKP und Erdogans ist es, per Verfassungsreform ein Präsidialsystem einzuführen. Weder Partei noch Präsident machen sich bislang die Mühe, dem Volk zu erklären, wie dieses System genau aussehen soll. Die Opposition befürchtet, Erdogan könnte nach einer solchen Reform zum fast unumschränkten Herrscher werden. Der AKP fehlen aber 13 Abgeordnete für die notwendige 60-Prozent-Mehrheit, um ein Referendum für eine Verfassungsreform auf den Weg zu bringen. Deshalb umschmeichelte Davutoglu vorgestern bereits die Oppositionsparteien. "Heute gibt es keinen Gegner, keinen Feind", meinte er. "Wir sind gekommen, um Liebe zu pflanzen." Ähnliche Versprechen hatte auch schon Erdogan nach seinen eigenen Wahlsiegen als AKP-Chef gemacht - nur um dann Hass und Zwietracht zu säen.

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