Wie offen wird die Öffnung sein?Als der Welt der Atem stockte

Havanna. Von 2013 an dürfen die Kubaner weitgehend frei reisen. Sofern sie einen Pass haben und auch das nötige Geld dazu. Das langwierige und verhasste Ausreiseverfahren fällt weg. Auch müssen die Kubaner keine Einladung mehr aus dem Land vorweisen, in das sie reisen wollen. "Vom 14

 Politische Freunde: Fidel Castro (links) und Nikita Chruschtschow. Foto: dpa

Politische Freunde: Fidel Castro (links) und Nikita Chruschtschow. Foto: dpa

Havanna. Von 2013 an dürfen die Kubaner weitgehend frei reisen. Sofern sie einen Pass haben und auch das nötige Geld dazu. Das langwierige und verhasste Ausreiseverfahren fällt weg. Auch müssen die Kubaner keine Einladung mehr aus dem Land vorweisen, in das sie reisen wollen. "Vom 14. Januar 2013 an wird nur die Vorlage des gewöhnlichen Reisepasses verlangt und ein Visum für das Zielland, wenn ein solches verlangt wird", lautet die Botschaft, die den elf Millionen Kubanern über die Parteizeitung "Granma" verkündet wurde.Die Regierung von Präsident Raúl Castro ist für wohldosierte und überlegte Schritte auf ihrem 2006 eingeleiteten Reformweg bekannt. Völlig anders als bei der Maueröffnung in Deutschland 1989 und der legendären Live-Pressekonferenz von SED-Politikbüromitglied Günter Schabowski am 9. November werden sich in Kuba aber keine Heerscharen aufmachen, um dem Sozialismus zu entfliehen. Und dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen.

Zunächst tritt die Neuregelung erst in drei Monaten in Kraft. Außerdem brauchen die Kubaner für fast alle Länder der Welt ein Visum, auch für begehrte Reiseziele wie die USA und Mexiko sowie für europäische Staaten. Zuallererst aber benötigen sie einen gültigen Reisepass - und auch den bekommen nicht alle.

20 Mal Erlaubnis verweigert

"Mir hat man in fünf Jahren 20 Mal die Reiseerlaubnis verweigert. Werde ich sie vom 14.01.2013 an bekommen? Wird die Öffnung so offen sein?", fragte die regierungskritische Bloggerin Yoani Sánchez in ihrem Twitter-Account. "Meine Freunde sagen, dass ich mir durch das neue Migrationsgesetz keine Illusionen machen soll . . . Sie machten mir klar, dass ich auf der 'schwarzen Liste' stehe. Aber ich werde es versuchen!" Dabei machte sie aber auch deutlich: "Wenn ich es schaffe zu reisen, dann um (nach Kuba) zurückzukehren."

Die Ausreisebestimmungen wurden von Havanna als politisches Instrument eingesetzt, etwa als die Oppositionsgruppe "Damas de Blanco" 2005 den Sacharow-Preis des Europäischen Parlamentes erhielt, den Mitgliedern aber die Ausreise zur Entgegennahme des Preises verweigert wurde. "Wir werden sehen, ob Yoani Sánchez tatsächlich ausreisen darf, um ihre Preise abzuholen", sagte Elizardo Sánchez, Chef der Kubanischen Menschenrechtskommission.

Bis jetzt benötigen Kubaner eine Sondergenehmigung, die sogenannte "Carta Blanca" ("Weiße Karte"), um das Land zu verlassen. Die Dimension der Reform war für die meisten Kubaner noch völlig unklar. Die von den Staatsmedien in der Nacht verbreitete Nachricht erreichte nur langsam die Bevölkerung. Auch das Austragen der Parteizeitungen erfolgt in Kuba in der Regel nur sehr schleppend am Vormittag.

"Wenn es wahr ist, ist das ein positiver Schritt", sagte Alfredo in Havanna. Der 36-jährige Sozialwissenschaftler gehört zur Gruppe, die aufgrund ihrer hohen Qualifikationen mit möglichen Ausreiseeinschränkungen rechnen muss. "Wir werden sehen, ob es nicht eine Gegenmaßnahme gibt." Er erfuhr von der Ankündigung durch einen Nachbar. "Ich würde gerne die Welt sehen, ein, zwei Jahre", sagt er. Suset, die als Putzfrau in Havanna arbeitet, würde auch gerne ausreisen. Nur für immer fern bleiben, das will sie nicht. Sie könne sich vorstellen, sechs Monate in den Vereinigten Staaten zu arbeiten. Washington. "Eine höllische Alternative" nannte John F. Kennedy die Entscheidung, die ihm bevorstand, als er am 16. Oktober 1962 von der Stationierung sowjetischer Atomraketen in Kuba erfuhr. Der US-Präsident war noch keine zwei Jahre im Amt, da standen sein Land und die Sowjetunion am Rande eines Atomkriegs, der die Welt zu vernichten drohte. Wie aus den lange Zeit geheimen Dokumenten hervorgeht, hatten Kennedy und der damalige sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow während der 13 Tage dauernden Krise immer wieder Mühe, die Lage zu kontrollieren. Versuche, Auswege zu finden, wurden konterkariert, weil beide Staatsmänner über keinen direkten Kommunikationsdraht verfügten.

Die Krise beginnt im Mai 1962: In dem Gefühl, den USA im Bereich von atomwaffenfähigen Interkontinentalraketen unterlegen zu sein, beschließt Chruschtschow die Stationierung von 40 000 Soldaten und Dutzenden Atomraketen in Kuba. Erst Monate später, am 16. Oktober, erfährt Kennedy durch Aufnahmen eines US-Aufklärungsflugzeugs von den Mittelstreckenraketen in Kuba. Der US-Präsident und seine Berater fühlen sich düpiert - schließlich hatte der Kreml wiederholt versichert, eine Stationierung offensiver Waffen im Hinterhof der USA käme nicht in Frage.

Kennedy beruft einen Krisenstab ein. Seine Militärchefs plädieren für Luftangriffe und Kubas Invasion. Verteidigungsminister Robert McNamara und andere "Tauben" im Stab wollen lieber eine Luft- und Seeblockade verhängen, um den Sowjets eine Möglichkeit zum gesichtswahrenden Rückzug zu geben. Am 22. Oktober macht Kennedy in einer Fernsehansprache die Raketenkrise öffentlich. Gegen den Rat seiner Generäle entscheidet er sich für die Blockade. Die sowjetischen Kriegsschiffe ziehen tatsächlich ab, doch hinter den Kulissen geht das Drama weiter: Weitere Atomsprengköpfe treffen auf Kuba ein, Fidel Castro mobilisiert seine Streitkräfte.

Als am 27. Oktober ein US-Aufklärungsflugzeug - ohne Wissen Chruschtschows - über Kuba abgeschossen wird, scheinen die Ereignisse endgültig außer Kontrolle zu geraten. Im Pentagon liegen schon Pläne für massive Luftangriffe und der Landung von 120 000 Soldaten bereit. Doch am Abend einigen sich Kennedys Bruder Robert und der sowjetische Botschafter Anatoli Dobrynin bei einem Treffen im US-Justizministerium auf einen Kompromiss.

Die Geheimdiplomatie hat Erfolg: Einen Tag später erklären die USA, es werde keine Invasion geben - und versprechen den Abbau ihrer Raketen aus der Türkei; im Gegenzug ordnet Moskau den Abzug seiner Raketen aus Kuba an. Am Ende siegte die Angst beider Seiten vor einem Atomkrieg. afp

Auf einen Blick

Reformen auf Kuba unter Raúl Castro: 1. April 2008: Die Regierung beginnt mit der Verteilung landwirtschaftlich ungenutzter Flächen an Bauern. 13. April 2008: Nach einer neuen Verordnung können Mieter Eigentumsrechte an staatlichen Wohnungen erwerben. 28. April 2008: Raúl Castro kündigt die Umwandlung der Todesstrafe für mehrere verurteilte Kriminelle in lange Haftstrafen an. 7. Juli 2010: Kuba lässt 52 Dissidenten aus dem Gefängnis frei. 1. August 2010: Kubaner dürfen künftig kleine Geschäfte betreiben und Arbeitskräfte beschäftigen. 1. Juli 2011: Kubas Regierung erlaubt den Kauf und Verkauf von Wohneigentum und Autos zwischen Privatpersonen. 29. Januar 2012: Kubas Kommunisten beschließen eine Reorganisation der Partei. Kritik und Selbstkritik sollen gefördert, die Korruption bekämpft werden. Weitergehenden Reformen wie der Gründung anderer Parteien erteilte Raúl Castro eine Absage. dpa

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