Wie Kretschmann wollen die Grünen sein?

Berlin · Bei allem Jubel über 30,3 Prozent in Baden-Württemberg: Um 2017 im Bund ein gutes Ergebnis einzufahren, brauchen die Grünen einen klaren Kurs, der beim Wahlvolk ankommt. Kretschmann hat das Rezept dafür gefunden.

Cem Özdemir nimmt den neuen Superstar in Schutz, obwohl ihn gar keiner öffentlich angegriffen hat. "Der ist nicht schwarz, der ist grün, grüner geht nicht", ruft der Parteichef den 80 Delegierten zu, die zum kleinen Parteitag nach Berlin gekommen sind. Es geht natürlich um den Mann, dessen Wahlsieg in Baden-Württemberg die Partei elektrisiert hat. Um Winfried Kretschmann , der im früheren CDU-Land gewinnen konnte, ohne ein "verkappter Schwarzer" zu sein, wie Özdemir betont.

Der 67-Jährige, der in Stuttgart nun mit der CDU über eine Koalition verhandelt, sonnt sich sowohl im Berliner Frühlingswetter als auch im Lob seiner Parteifreunde. Auch Simone Peter vom linken Parteiflügel , der den Erfolg des besonnnen Realos nicht ohne Misstrauen beäugt, erkennt an: "Glaubwürdigkeit und Kompetenz, mit der Person von Winfried Kretschmann verbunden", das sei angekommen bei den Wählern. Die Deutschen haben Kretschmann im jüngsten ZDF-"Politbarometer" zum beliebtesten Politiker gewählt. Er erklärt der Bundespartei typisch unaufgeregt, wie es ihm gelungen ist, 30,3 Prozent zu holen. Logisch, dass es wie eine Lehrstunde wirkt, wie die Partei es auch im Bund schaffen kann. Dort sind die Ziele etwas bescheidener: Gut zweistellig oder auch dritte Kraft vor AfD, Linken und FDP will man werden. Jedenfalls mehr als die 8,4 Prozent vom letzten Mal sollen herauskommen. Was sind Kretschmanns Lehren?

Am ehesten Pragmatismus, praktische Lösungen. Fragen, was für das Land gut sei, nicht für die Partei. Grundsätze ja, Dogmen nein. "Bündnisse schmieden, keine Angst vor Kompromissen haben, dann können wir auch politisch wachsen und die Republik auf Dauer prägen." Die Spaltung der Grünen in Linke und Realos ist tief verankert, auch strukturell - die meisten Spitzenpositionen sind doppelt besetzt. Die Parteichefs Özdemir (Realo) und Peter (links), die Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt (Realo) und Anton Hofreiter (links) brachten zwar - in Anzug und mit Arbeitshandschuhen - vor dem Hof gemeinsam Pflanzen in die Erde. Doch im Saal wird der Gegensatz zwischen den Flügeln und zwischen Opposition und Regierungsverantwortung deutlich. Da teilt Peter aus gegen Innenminister Thomas de Maizière und das "zynische" Flüchtlingsabkommen mit der Türkei. Kurz darauf Kretschmann: Bei diesem Thema könne man "immer viel rumkritisieren", aber es komme doch darauf an, eigene Vorschläge zu machen, und notfalls eben auch mal "mäßige" Lösungen zu akzeptieren.

Im Herbst wählt die Partei ihre Spitzenkandidaten und entscheidet über das Wahlprogramm. Viel Konfliktpotenzial also. Kein Wunder, dass das Wort "Geschlossenheit" bei diesem Parteitag immer wieder fällt, etwa genau so oft wie "Rückenwind" aus Baden-Württemberg. Nur geschlossen könne man 2017 die große Koalition beenden.

So deutlich wie sonst kaum einer wird Reinhard Bütikofer , der für die Grünen Europapolitik macht. Kleinteilige Klientelinteressen zu addieren, reiche nicht mehr. "Aus meiner Sicht sind wir zu wenig Bewegungspartei." Es sei ja schön, dass "alle den Choral singen, wir sind Kretschmann". Nur sei es nicht wahr - "jedenfalls nicht genug".

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