Wie korrupt ist Israel?
Tel Aviv · Ehud Olmert tritt heute als erster Ministerpräsident Israels eine Haftstrafe wegen Korruption an. Ein Tiefpunkt für das Land oder ein Zeichen für eine starke Demokratie im Nahen Osten?
Als Ehud Olmert endgültig klar wurde, dass er ins Gefängnis gehen würde, da wurde der ehemalige israelische Ministerpräsident fast demütig. Er habe schwere Jahre hinter sich, sagte er nach der Urteilsverkündung Ende Dezember. "Mir ist nie Bestechungsgeld angeboten worden, und ich habe nie Bestechungsgeld angenommen." Er respektiere jedoch die Entscheidung der Richter. Olmert hatte als Handelsminister etwa 14 000 Euro von einem Geschäftsmann angenommen. Heute tritt der 70-Jährige seine 19-monatige Haftstrafe an - mit vier Unterhosen, zwei Pullis ohne Kapuze und einer eigenen Deck im "VIP-Block 10" des Maasijahu-Gefängnis in Ramla. Der Spezialtrakt mit 18 Plätzen ist "den Strafgefangenen vorgebehalten, die aus unterschiedlichen Gründen nicht zusammen mit den üblichen Insassen untergebracht werden können", erklärt der israelische Vollzugsdienst IPS.
Olmert ist zugleich der erste ehemalige Regierungschef Israels, der ins Gefängnis geht. Ein Zeichen für ein Land mit einem Korruptionsproblem? Oder für eine starke Demokratie ? "Es ist definitiv ein Zeichen einer Veränderung", sagt der Politologe Gerald Steinberg von der Bar-Ilan-Universität in Tel Aviv . "Das israelische System ist in den vergangenen Jahren stark genug geworden, um mit solchen Dingen auf dem Rechtsweg umzugehen." Diese Entwicklung sei typisch für eine junge, erwachsen werdende Demokratie . "Olmert hat gedacht, ich bin eine mächtige Person mit vielen Verbindungen, ich bin sehr schlau und weiß, das System zu manipulieren", sagt Steinberg. "Jetzt kann kein Politiker jemals wieder denken, er könne den Rechtsweg manipulieren." Vorwürfe, die Anschuldigungen gegen Olmert seien 2008 lanciert worden, um den Friedensprozess mit den Palästinensern zu torpedieren, weist der Professor zurück. "Das ist Nonsens." Es habe keinen realistischen Friedensprozess gegeben.
Steinberg hält das Rechtssystem heute für professioneller als noch vor einigen Jahren - auch gegenüber Politikern. So war 2011 der frühere Staatspräsident Mosche Katzav wegen Vergewaltigung und sexueller Belästigung zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Auch der 70-Jährige sitzt in Maasijahu. Eran Vigoda-Gadot, Professor für öffentliche Verwaltung an der Universität Haifa, bezeichnet die Justiz in Israel als unabhängig. Auch Anwalt Tomer Naor sieht den Fall Olmert als Hinweis auf eine Entwicklung im Land. "Was neu ist, ist nicht die Haltung des Systems oder der Justiz - das Neue ist, dass die Öffentlichkeit ihre Augen geöffnet hat," sagt das Mitglied der Nichtregierungsorganisation "Bewegung für eine gute Regierung in Israel". Menschen, die sich nicht für diese Themen interessiert hätten, sagten nun: "Er hat unser Geld gestohlen und es ist ok, dass er dafür ins Gefängnis geht."
Im Korruptionsindex von Transparency International (TI) belegt Israel Platz 32 (von insgesamt 167) - vor Spanien, Italien und dem Nachbarn Jordanien, aber hinter Katar oder den Vereinigten Arabischen Emiraten. "Israel ist auf dem richtigen Weg", sagt die TI-Direktorin in Israel, Ifat Samir. "Aber 2015 war ein hartes Jahr." Es habe rund zehn Verfahren wegen Korruption gegen Minister, Bürgermeister und nun den Ex-Ministerpräsidenten gegeben. In allen Fällen hätten die Angeklagten ihre Posten räumen müssen. Zudem gibt es Untersuchungen gegen den amtierenden Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu . Er und seine Frau Sara sollen sich teure Auslandsflüge von reichen Freunden bezahlt haben lassen.
Eine Verurteilung als korrupter Politiker bedeutet in Israel nicht unbedingt ein Karriereende: Im Januar ernannte Netanjahu Arie Deri von der Schas-Partei erneut zum Innenminister. Deri war 2000 wegen Korruption in seiner Zeit als Innenminister zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Deris aktueller Vorgänger, Silvan Schalom, hatte kurz vor Weihnachten seinen Rücktritt erklärt, weil ihm mehrere Frauen sexuelle Belästigung vorwerfen. Die Behörden ermitteln noch.
Meinung:
Richter greifen härter durch
Von SZ-MitarbeiterinSusanne Knaul
Es bleibt ein übler Nachgeschmack, wenn Israels früherer Regierungschef Ehud Olmert , der seine Ämter missbrauchte, um sich selbst zu bereichern, diese Woche seine 19-monatige Haftstrafe antritt. Viel zu billig sei er davon gekommen, finden die Israelis, die gleichzeitig peinlich berührt sind von der Tatsache, dass nun nicht nur ein ehemaliger Staatspräsident hinter Gittern sitzt, sondern zum ersten Mal auch ein früherer Ministerpräsident. Korruptionsaffären sind nicht neu in Israel, die Richter greifen härter durch als bisher, verhängen längere Strafen auch für hohe Amtsträger. Noch zeigt die Abschreckungsstrategie kaum Wirkung. Während Olmert die Häftlingsuniform anzieht, droht zwei Ex-Ministern ein Verfahren, einige lokale Verwaltungen und staatliche Institutionen sind verseucht von Gier und Skrupellosigkeit.