Wie ein Tholeyer Abt die Leidenschaft fürs Kochen mit der Liebe zu Gott verbindet
Tholey · Seit etwas mehr als einem Jahr leitet Pater Mauritius Choriol (55) eines der ältesten Kloster Deutschlands, die Abtei in Tholey. Ein Leben in Abgeschiedenheit? Ein Leben mit Vielfach-Beanspruchung. Choriol ist Sanierungs-Fachmann, Gästehaus-Manager, Küchenchef und geistlich-theologische Autorität.
Am Tag unseres Besuchs übt sich der Abt in Askese: Er kocht "Gefillde". Nicht für sich; seine zwölf Mitbrüder baten ihn darum. Er selbst wurde als junger Koch im Salzburger Land mit jeder nur erdenklichen Form der Knödelherstellung derart malträtiert, dass Mauritius Choriol (55) heute sagt: "Ich habe für mein ganzes Leben Klöße genug gegessen." Will sich der gebürtige Elsässer kulinarisch selbst etwas Gutes tun, kauft er Fisch und Innereien. Oder er füllt gleich das Schweinenetz: "Crépinette de pied de porc (Schweinefuß im Netz)" sei sein Lieblingsessen, verrät er.
Der Klosterchef beantwortet alle, auch persönliche Fragen frank und frei. Trotzdem spricht er nicht die übliche Sprache, nichts an seiner Rede will emotional aufputschen, übertönen, bekehren. Choriols Formulierungen sind klar und schlicht. "Wir leben in einem Zeitalter, in dem die Kommunikation überhandgenommen hat", sagt er. Und lässt im Kloster durchaus, wenn auch nicht durchgängig, Handy und Computer zu. "Das Fernsehverbot wird aber nur bei Papstwahlen oder Fußballweltmeisterschaften aufgehoben", erklärt er mit ironischem Unterton. Humor hat er. Die durch die Benediktsregel vorgeschriebene klösterliche Stille bedeutet eben weit mehr, als nur den Lärm der Welt auszusperren. 50 Prozent des Tages verbringen die Fratres mit sich allein. Das gelinge nur mit "tranquilitas", also mit Seelenruhe, meint Choriol. Er berichtet, dass die meisten, die als Gäste auf Zeit in die Abtei kommen, es als wohltuend erlebten, den Ansprüchen und Emotionen der Mitmenschen zu entfliehen. Doch um ein Leben lang zu bleiben, dazu brauche es weniger ein seelenerschütterndes Erweckungserlebnis als Mut für die Mühen der Alltagsebenen: "Es ist wie beim Sport. Man liebt ihn erst, wenn man eine gewisse Zeit durchgehalten hat." Oder, anders ausgedrückt: "Man wird nicht Mönch in einem Jahr, man braucht sein Leben lang. Mönch ist eigentlich ein Ausbildungsberuf." Nicht jeder Schritt stärke die Gewissheit, auf dem richtigen Weg zu sein, aber ihre Summe.
Und wie verlief es bei ihm? Der Elsässer Choriol hat Koch gelernt, irgendwann holte der luxemburgische Sternekoch Michel Behring den Mittzwanziger in sein Restaurant "Patin d'Or". Damals wohnte Choriol in Bettembourg direkt neben einer Kirche. Jeden Tag vor dem Küchendienst zog es ihn dorthin: "Man hört Gott zu und merkt: Er will etwas von dir." Die Kollegen gingen abends in die Disco, Choriol las Nathan André Chouraquis' Übersetzung der Psalmen.
Irgendwann gab Choriol dann nach, suchte in geografischer Nähe nach einem Kloster, um im Urlaub das Mönchsleben zu erproben - und er fand die Abtei Tholey . Allerdings trat er als Novize dann doch woanders ein, bei den Kartäusern von La Valsainte (Schweiz). Dort verbot man ihm, Latein zu lernen, weil er wissen wollte, was er betete. Deshalb führte der Weg zurück nach Tholey . Choriol holte das Abitur nach, studierte Theologie und schrieb seine Magisterarbeit über Kirchenrecht, wollte in die Verwaltung. Doch das Gästehaus hatte Defizit, es drohte ein Verkauf. Der damalige Abt Macarius übertrug es Choriol - nicht nur das entscheidende Rettungsmanöver für die Existenz gefährdete Abtei, sondern auch ein biografischer Schlüsselmoment für Choriol. Von da an durfte er seinen zwei Berufungen folgen: seiner Kochleidenschaft und seiner Liebe zu Gott.
Mittlerweile hängen zwei Michelin-Werbeaufkleber an der Tür des Gästehauses Lioba. Dort serviert Choriol den Luxus, den die Kunden bestellen, von Hummersalat bis Gänseleber, während er für sich und seine Mitbrüder täglich nur rund sechs Euro für die Versorgung zur Verfügung hat, wie er sagt. Im Lioba-Gästehaus übernachteten im vergangenen Jahr 2750 Gäste, nicht selten bereitet Choriol an Wochenenden bis zu 150 Essen zu. Auch den Einkauf erledigt er selbst. Professionalität sieht er als Pflicht. Weltabgewandtheit könne er sich als Koch nicht leisten. Also liest Choriol Ferran Adriàs Bücher über Molekularküche und besucht auch mal Kollegen in ihren Restaurants.
Doch damit nicht genug. Bereits als Prior hatte er von 2008 an die Modernisierung der Bausubstanz in Angriff genommen: Der Lenoir-Hauptbau (1722) wurde vorbildlich-stilvoll saniert, die öffentlich zugängliche Gartenanlage mit Teehaus neu hergerichtet. Ein Baumanagement-Job. Überflüssig zu erwähnen, dass geistliche Pflichten hinzutreten - vom Pontifikalamt bis zur Pilgerfahrt. Außerdem gelte, so Choriol: "Die Mönche haben nur einen Herrn, der Abt hat zwölf." Und: "Im Kloster wird es nie langweilig." Wie auch? Für alle in Tholey gilt eine äußerst stramme Tagestaktung, die durch fünf Gebetszeiten und die Essenszeiten vorgegeben ist.
Staunenswert, wie die Mönche es schaffen, ihre festen Arbeits-Aufträge - Waschen, Gartenpflege, Seniorenbetreuung, Sakristeidienst - in die Lücken zu zwängen. Außerdem gilt der Generationenvertrag: Die Jungen pflegen und tragen die Alten. Die Benediktsregel halte alle zusammen, sagt Choriol. Lebt er denn im Kloster nun glücklicher? "Man hört die Stimme Gottes deutlicher", sagt Choriol.
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HintergrundAlain Choriol wurde am 22. November 1959 in Erstein im Elsass geboren. 1978 bis 1981 leistete er Militärdienst, danach arbeitete er als Koch, zuletzt im luxemburgischen Sternerestaurant von Michel Behring, "Patin d'Or". 1984 trat er in die Abtei St. Mauritius in Tholey ein und studierte Theologie. Die Priesterweihe erfolgte 1993. Seit 1998 ist Choriol Wirtschaftsverwalter. 2007 wurde er Prior (Vorsteher) der Abtei. Am 22. Juli 2014 wurde Choriol zum Abt geweiht.In Tholey leben 13 Mönche , darunter ein Amerikaner, ein Franzose und ein Philippino. Seit Abt Mauritius für das Kloster zuständig ist, kamen fünf Neueintritte hinzu. Der Altersdurchschnitt liegt bei Mitte 50, üblicherweise bei Mitte 70, so die Angaben des Klosters. ce