Wie die Preußen den Saar-Bergbau prägten

Prinz Wilhelm, der spätere Kaiser, war dann doch neugierig. 1819, vier Jahre, nachdem die Preußen das Saar-Département der Franzosen ihrer "Rheinprovinz" zugeschlagen hatten, reiste er ins Saarland. Er wollte die vorbildlichste seiner 18 Saar-Gruben besichtigen, den Leitbetrieb für technische Innovation in Geislautern

Prinz Wilhelm, der spätere Kaiser, war dann doch neugierig. 1819, vier Jahre, nachdem die Preußen das Saar-Département der Franzosen ihrer "Rheinprovinz" zugeschlagen hatten, reiste er ins Saarland. Er wollte die vorbildlichste seiner 18 Saar-Gruben besichtigen, den Leitbetrieb für technische Innovation in Geislautern. Als der König eintraf, spielte eine Bergkapelle - es war der erste Bergkapellen-Auftritt in der saarländischen Geschichte. Damals liefen in Geislautern bereits zwei Jahre Experimente zur Koksgewinnung. Rasanter technischer Fortschritt, das ist einer der Begriffe, unter den sich hierzulande die Preußen-Ära fassen lässt. Doch welche sozialen Kosten verursachte der Modernisierungs-Prozess?Bayern hatte nach dem Zweiten Pariser Frieden 1815 nur einen kleinen, östlichen Teil des Saar-Reviers bekommen, mit den Gruben St. Ingbert und Mittelbexbach. So konnte der preußische Staat zum mächtigsten, zum allgegenwärtigen Arbeitgeber werden. 1890, nach der Eisen-Boomzeit, beschäftigten die Saar-Gruben zweieinhalb Mal so viele Arbeiter wie alle Eisenhütten der Stumms und Röchlings zusammen. Die Preußen waren zudem unerbittliche "Kaufmänner". Sie wollten Profit.

Und so ging das: Rationalisierung von Arbeitsprozessen, Übergang zum Tiefbau, Dampfmaschinen-Einsatz, Schienenförderung mit Pferdekraft, Ausdifferenzierung der Aufgaben (Steiger, Hauer, Schlepper), Einteilung in "ständige" (festangestellte) und "unständige" Arbeiter. Es kam zu einer schwindelerregenden Produktivitätssteigerung. Wurden 1823 rund 95 000 Tonnen Kohle gefördert, lag die Zahl 1860 bei etwa zwei Millionen. Wie stürmisch die Wachstumsprozesse verliefen, lässt sich am Beispiel von Heinitz zeigen. 1847 startete der Heinitz-Stollen mit elf (!) Mann und wuchs in nur drei Jahren auf eine Belegschaft von 690.

Zusätzlich wurde die Infrastruktur ertüchtigt. Die "Saar-Bahn" (1860) - eine Verbindung zwischen Saarbrücken-Trier-Luxemburg - beendete die isolierte Lage des Saarreviers, der Saarkohlekanal (1866) erlaubte Massengut-Transporte. Goldene Zeiten! Das verlangt nach Symbolik. Auf den Tagesanlagen wuchsen über den Schächten immer breitere (Malakoff-)Türme in die Höhe, festungsartige Klötze, die Kraft demonstrieren und stolze patriotische Gefühle befördern sollten. Die Saarbrücker Bergwerksdirektion, 1877 bis 1880 von den Berliner Architekten Gropius/Schmieden erbaut, lässt sich als Stein gewordene Ideologie eines Staats-"Konzerns" verstehen. Das Neo-Renaissance-"Stadtschloss" feierte mit Emblemen und überlebensgroßen Statuen die Helden des Bergbaus - vom Hauer bis zum Politiker.

Soweit die Glanz- und Gloria-Fassade. In die Hinterhöfe schauen die Sozial-Historiker. Allen voran Klaus-Michael Mallmann. Er beschreibt krasse "Kolonialisierungs-Prozesse", sieht ein "Kartell von Missionaren" am Werk, das die "Eingeborenen Mores lehren" wollte. Das ist eine Extrem-Position. Gleichwohl steht fest, dass der Borussen- "Geist" mit Hilfe des Massen-Regimentes in den Saar-Gruben durchschlagen konnte. Da in Preußen das Militär als Normen- und Heilsbringer galt, prägten auch im Bergbau Uniformen das Bild, hielten militärische Rituale und Verhaltens-Regeln Einzug. Die Disziplinierung lief unter den Oberbegriffen Pflichterfüllung, Zucht, Ordnung, Gehorsam. Alle Direktiven von Beamten und Bergbau-Führungskräften waren von dieser Erziehungs-Haltung geradezu beseelt. Bereits ab 1820 steuerten "Strafreglements" das innerbetriebliche Miteinander, griffen dann auf die Freizeit über und das gesamte familiäre Umfeld. Vorgeschrieben wurde, wann der Bergmann zu trinken hatte (nicht am Zahltag!), dass er erst mit 24 Jahren heiraten durfte und wann er im Schlafhaus das Licht zu löschen hatte.

Alles Schikane? Die Preußen verstanden sich, im Gegenteil, als fürsorgliche Erzieher zur "Zivilisierung". Denn sie sahen sich einer Arbeiterschaft gegenüber, die sie zunächst für ungeeignet hielten, die hohen Anforderungen des Bergbaus zu erfüllen. Ihre eigene Niedriglohn-Politik verhinderte nämlich den Zuzug auswärtiger Fachkräfte. 20 Jahre lang, bis in die 1840er Jahre hinein, wurden die Normalschicht-Lohnsätze nicht erhöht. In der Mitte des 19. Jahrhunderts waren Glasmacher mit 240 Mark Monatslohn die Top-Verdiener unter den Arbeitern. Ein Bergmann brachte nur 80 Mark heim. So war der Bergfiskus auf die Rekrutierung im agrarisch-ländlichen Umland angewiesen. Diese Menschen mussten für eine neuartige Höchstleistungs-Arbeit "umerzogen" werden. Da passte ganz gut, dass die Mehrzahl der Führungskräfte Protestanten waren. Aus Sachsen oder Westfalen brachten sie ihre strenge Arbeitsethik mit in Betriebe, die, je mehr Arbeiter zuzogen, umso "katholischer" wurden. Dadurch lud sich die Oben-Unten-Konstellation zusätzlich auf: emotional, ideologisch.

Nein, das Saar-Revier war unter den Preußen wahrlich kein Paradies. Es gab regelmäßige Absatz- und Wachstumskrisen, 1847 sogar ein veritables Not-Jahr mit "Kartoffel- und Getreide-Krawallen". Von Beginn an opponierten die Arbeiter gegen zu niedrige Löhne, schon 1816 kam es auf der Grube Großwald zu einem Ausstand. Gleichwohl obsiegte das preußische System. Dank der "fürsorglichen Industrialsierung" blieb es ruhig. Schulen für Bergarbeiter-Frauen wurden gebaut und Schlafhäuser für "Pendler" - man nannte sie "Ranzenmänner". Später wurde eine grubennahe Siedlungspolitik in Gang gesetzt, Mini-Garten inklusive. Die Ermöglichung von Nebenerwerbs-Landwirtschaft lag im Interesse des preußischen Arbeitgebers. Wer eine Ziege, die "Bergmanns-Kuh", hatte, um dessen Arbeitskraft musste man sich weniger Sorgen machen.

Die Wohltaten geschahen also auch oder sogar vordringlich aus Eigennutz. Und wirklich profitieren davon konnten die kleinen Leute wohl kaum. Ihr Alltag blieb durch ständigen Mangel gekennzeichnet. Vor allem aber: von der Erfahrung der "Fremdherrschaft". Es hieß, sich dem Regel-Diktat zu unterwerfen und eigene Ideen und Initiativen zurückzustellen. Auch fühlten sich die meisten von anonymen, fernen Mächten gesteuert. Denn Beschlüsse fielen im Bonner Oberbergamt, in Berlin oder in der Trierer Bezirksregierung.

 Die Pickelhaube: Symbol für Preußen und seinen militärischen Geist. Hier ein Modell aus dem Jahre 1843 mit prächtigem Preußen-Adler. Foto: Interfoto/Hermann Historica

Die Pickelhaube: Symbol für Preußen und seinen militärischen Geist. Hier ein Modell aus dem Jahre 1843 mit prächtigem Preußen-Adler. Foto: Interfoto/Hermann Historica

 Sie sorgten für den ordnungsgemäßen Betrieb der Gruben: Königlich-preußische Grubenbeamte vor dem Mundloch des im Jahre 1847 angeschlagenen Heinitz-Stollens. Foto: RAG Saarbrücken

Sie sorgten für den ordnungsgemäßen Betrieb der Gruben: Königlich-preußische Grubenbeamte vor dem Mundloch des im Jahre 1847 angeschlagenen Heinitz-Stollens. Foto: RAG Saarbrücken

Der Historiker Mallmann hält die Auswirkungen dieser Ohnmachts-Erfahrung für bis heute nachwirkend. Sie sei der Grund für den "zwiespältigen Sozialcharakter" der Saarländer, schreibt er im Buch "Richtig daheim waren wir nie". Das Verhalten schwanke immer noch zwischen opportunistischer Anpassung ("Wes Brot ich ess, des Lied ich sing") und übersteigerter Selbstbehauptung. Übersetzt heißt das: Die Preußen haben das ausgelöst, was die Saarländer dauer-beschäftigt: Die Suche nach einer spezifischen Saar-Identität, nach einer selbstbestimmten Nische im Länder-Konzert.

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