Wer ist Charlie?

Paris · Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit kämpft das Satire-Magazin „Charlie Hebdo“ um seinen Fortbestand. Und gerade das Geld, das die Welle der Solidarität nach dem Anschlag in die Kasse gespült hat, sorgt für Ärger.

Eine geifernde Marine Le Pen und ihr ebenso wütender Vater Jean-Marie: Der Familienstreit im rechtspopulistischen Front National ist ein gefundenes Fressen für die französische Satirezeitung "Charlie Hebdo ". Doch das Titelblatt der sonst so witzig-frechen Redaktion wirkt diese Woche lahm. Das Magazin steckt vier Monate nach dem islamistischen Anschlag mit zwölf Toten in einer Identitätskrise. Am deutlichsten zeigt das der Zeichner Rénald Luzier, genannt Luz. Der 43-Jährige hatte das knallgrüne Titelblatt der ersten Ausgabe nach dem Attentat gezeichnet. Mehr als sieben Millionen Mal verkaufte sich seine Mohammed-Karikatur, die den Propheten mit dem Solidaritätsslogan "Ich bin Charlie" zeigt. Aber Luz macht Schluss mit seinen legendären Mohammed-Darstellungen: "Das interessiert mich nicht mehr. Ich habe genug davon", sagte er im April.

Dabei waren es gerade die frechen Zeichnungen des Religionsgründers, die "Charlie Hebdo " so bekannt und umstritten gemacht hatten. "Wir haben den Propheten gerächt", riefen die Attentäter nach dem tödlichen Überfall auf die wöchentliche Redaktionskonferenz des Magazins, das den Islam genauso aufs Korn nahm wie andere Religionen. Die Angreifer hatten Chefredakteur Charb und die bekanntesten Zeichner erschossen.

Die Toten hinterließen eine riesige Lücke, die die Überlebenden auch Monate später nur mühsam füllen können. Ihren Kampf um den Fortbestand von "Charlie Hebdo " führen sie inzwischen weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit . Nach der Demonstration mit landesweit rund vier Millionen Teilnehmern am 11. Januar ebbte das Interesse merklich ab. An den Zeitungskiosken, wo sich für die erste Ausgabe nach dem Attentat noch lange Schlangen bildeten, ging der Verkauf um bis zu 90 Prozent zurück.

Doch das früher notorisch klamme Magazin profitiert immer noch von der Welle der Solidarität: Die Zahl der Abonnenten stieg von 10 000 auf 22 000. Rund 30 Millionen Euro sollen seit dem Attentat an Spenden und Verkaufseinnahmen hereingekommen sein. So viel, dass inzwischen ein Streit darum entbrannt ist, wie das Geld am besten verwaltet werden soll. "Wie entkommt man dem Gift der Millionen?", fragten 15 Mitarbeiter, darunter auch Luz, in einem offenen Brief in der Zeitung "Le Monde ". Sie fordern, die Zeitung von einem Unternehmen in eine Genossenschaft umzuwandeln, in der alle mitreden können. Bisher gehört "Charlie Hebdo " zu 40 Prozent den Eltern des ermordeten Chefredakteurs Charb, zu 40 Prozent dem neuen Redaktionsleiter Riss und zu 20 Prozent Verlagschef Eric Portheault. Der Streit ums Geld belastet auch das Klima in der Redaktion.

Die Überlebenden produzieren inzwischen wieder jede Woche eine neue Ausgabe. Diese Beharrlichkeit im Kampf für Meinungsfreiheit war es auch, die der US-Schriftstellerverband PEN vergangene Woche auszeichnete. Aber es war ein umstrittener Preis, den "Charlie Hebdo "-Chefredakteur Gérard Biard in New York entgegennahm. Denn mehr als 200 Schriftsteller hatten sich dagegen gewehrt, das Blatt zu ehren, das anti-islamische Gefühle schüre. "Schockiert zu sein, ist Teil der demokratischen Debatte. Erschossen zu werden, ist es nicht", konterte Biard bei der Preisverleihung geschickt - und erntete stehende Ovationen.

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