Wer hat in der Flüchtlingspolitik das Sagen?

Führt Kanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingspolitik überhaupt noch? Beim Umgang mit der Asylkrise erlebt die Regierung Chaostage. Der Eindruck verfestigt sich, jeder macht und jeder verkündet, was er will und wann er es will.

Ohne Absprache, ohne Kenntnis des anderen. Dabei dreht sich im Moment vieles um die "Drei von der Zankstelle": Um Angela Merkel, Innenminister Thomas de Maizière und Flüchtlingskoordinator Peter Altmaier (alle CDU ).

Die Kanzlerin. In dieser Woche erlebte Merkel die dritte Unions-Fraktionssitzung innerhalb kurzer Zeit, in der einige Abgeordnete ihrem Unmut über die Regierungspolitik freien Lauf ließen. Merkel setzt auf eine Politik der kleinen Schritte, auf europäische Lösungen. "Wir arbeiten am Problem", wird sie zitiert. Doch weil Erfolge kaum erkennbar sind und ihr Vorgehen im Streit um Symbolmaßnahmen wie Transitzonen untergegangen ist, wirkt jeder Ruf nach Begrenzung des Ansturms wie Widerstand. Und den gibt es auch. Wer mit Abgeordneten spricht, bekommt Beklemmendes zu hören: Von bitterbösen E-Mails besorgter Bürger wird berichtet, vielen Parlamentarier wird derzeit in ihren Wahlkreisen die Hölle heiß gemacht. Die Flüchtlingspolitik ist das einzige Thema. Die Kanzlerin müsste jetzt kämpfen um die Gefolgschaft der eigenen Leute, zumal ihre Kritiker medial deutlich präsenter sind. Doch sie bittet um Geduld. Dadurch scheint ein Führungsvakuum entstanden zu sein, das einer vor allem ausnutzt: Thomas de Maizière.

Der Innenminister . Dass de Maizière - wie gestern auch im Bundestag - auf geltendes Recht pocht, hat die Zahl seiner Anhänger in der Fraktion nur noch vergrößert. Der Innenminister , Verfechter einer härteren Gangart, wird immer mehr zur Ikone der Unzufriedenen. Das macht sogar die SPD fuchsig: Glaubt man Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht, dann ist er bei den Genossen komplett unten durch. Die Abgeordneten ihrer Fraktion seien "außerordentlich verärgert" - darüber, dass de Maizière das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angewiesen hatte, Syrien-Flüchtlingen nur noch den vorübergehenden "subsidiären" Schutz für ein Jahr zu gewähren. Und dass in die Fraktionssitzung am Dienstag die Nachricht hereinplatzte, der Minister habe nun auch noch eine Rückkehr zum Dublin-Verfahren für diesen Kreis verfügt. Die Sozialdemokraten halten beide Entscheidungen auch sachlich für falsch. Weil sie wenig bewirken. So seien seit dem Wiederinkraftsetzen des Dublin-Verfahrens durch de Maizière am 21. Oktober ganze vier Syrer in die europäischen Länder zurückgeführt worden, die sie zuerst betraten. Da der Minister seine Entscheidungen neuerdings öfter ohne vorherige Information verkündet, wurde beim routinemäßigen Frühstück der drei Fraktionschefs von CDU , CSU und SPD deshalb beschlossen, dass er dort nun in jeder Sitzungswoche höchstpersönlich berichten soll, was er zu tun beabsichtigt. Eine heftige Watschen. Die dürfte allerdings auch im Interesse von Peter Altmaier sein.

Der Flüchtlingskoordinator. Er ist im Moment Angela Merkels bester PR-Mann. Wo immer Peter Altmaier steht und geht, verteidigt er die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. In der Fraktion genießt er nach wie vor hohes Ansehen, wobei auch spürbar ist, dass die Unterstützung für ihn weniger wird. Aber zwischen Altmaier und Merkel passt kein Blatt Papier. Er musste de Maizières Alleingang beim Familiennachzug syrischer Flüchtlinge wieder einfangen. Von der Weisung des Innenministers habe er nichts gewusst, so Altmaier. Offiziell lautet die Sprachregelung jetzt: "Kommunikationspanne". Doch es bleiben Fragen: Was ist die Koordinierungsfunktion wert, wenn die Flüchtlingspolitik der Regierung so chaotisch wirkt wie momentan? Wie stark ist die Position des Koordinators wirklich? Mit seiner neuen Machtfülle hat sich Altmaier nicht nur Freunde gemacht. Das steht fest. Zugleich wächst auch der Druck in der Union auf ihn, Erfolge zu liefern.

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