Wenn die Kirche Gläubigen den Segen verweigert

Bonn. Der Fall kommt jetzt erstmal vor irdische Richter: Vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig sitzt in der kommenden Woche die katholische Kirche indirekt auf der Anklagebank. Zumal die Bischöfe gestern mit einem Dekret beschlossen haben, alle jene, die offiziell aus der Amtskirche austreten, auch aus der eucharistischen Gemeinschaft auszuschließen

Bonn. Der Fall kommt jetzt erstmal vor irdische Richter: Vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig sitzt in der kommenden Woche die katholische Kirche indirekt auf der Anklagebank. Zumal die Bischöfe gestern mit einem Dekret beschlossen haben, alle jene, die offiziell aus der Amtskirche austreten, auch aus der eucharistischen Gemeinschaft auszuschließen. Genau darüber soll in Leipzig verhandelt werden: Darf ein Christ den Austritt aus der Kirche vollziehen und keine Kirchensteuern mehr zahlen, aber "im Herzen" trotzdem Christ mit allen Rechten bleiben?

Vor Gericht in Leipzig geht es am kommenden Mittwoch um den Fall des emeritierten Freiburger Kirchenrechtlers Hartmut Zapp. Dieser hatte 2007 seinen Austritt aus der Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts erklärt und keine Kirchensteuern mehr gezahlt. Er betonte jedoch, weiterhin gläubiges Mitglied der Kirche zu sein. Dagegen klagt das Erzbistum Freiburg. Auch in anderen Fällen wird um teilweise Kirchenaustritte gestritten.

Als Folge der Säkularisation der Kirchengüter waren die deutschen Staaten zu materiellen Leistungen an die Kirchen verpflichtet. Im 19. Jahrhundert wurde daraus die Kirchensteuer, mit der Gläubige selbst Beiträge an die Kirchen entrichten. Damit niemand gegen seinen Willen als Kirchenmitglied geführt wird, wurde die Möglichkeit des zivilrechtlichen Kirchenaustritts geschaffen.

Bisher verfuhr die katholische Kirche in Deutschland nach der Regel, wer austritt, wird exkommuniziert. Damit lagen die deutschen Bischöfe aber nicht auf einer Linie mit dem Vatikan. Ein bloß formaler Kirchenaustritt stelle noch keinen Abfall vom Glauben dar, der mit Exkommunikation bestraft werden muss, betonte der Rat für Gesetzestexte in Rom bereits 2006. Dies gelte auch für Deutschland.

Mit dem gestern veröffentlichten Dekret hat sich die Lage aber verändert. Die Deutsche Bischofskonferenz und der Vatikan haben eine Kompromissformel gefunden. Entsprechend der Maßgaben aus Rom muss mit jedem, der seinen Austritt erklärt, Kontakt aufgenommen werden. Zudem wird nicht mehr wie bisher automatisch exkommuniziert.

Wer also jetzt austritt, erhält danach Post von dem für ihn zuständigen Pfarrer. In dem Brief wird er zum persönlichen Gespräch eingeladen. Dabei soll es um die Beweggründe für den Austritt gehen. Zudem sollen die Betroffenen den Schritt möglichst noch einmal überdenken oder rückgängig machen. Zugleich werden dem Empfänger die kirchenrechtlichen Konsequenzen seiner Entscheidung mitgeteilt, die sich von einer Exkommunikation kaum unterscheiden. Denn die Sakramente darf der Betreffende nicht mehr empfangen, schon gar keine kirchlichen Ämter und Funktionen mehr bekleiden. Und ein christliches Begräbnis kann ihm auch verweigert werden. Die Rückkehr wird dafür leichter. Im Falle eines Wiedereintritts wird - nach einem klärenden Gespräch und einer Versöhnungszeremonie - das verlorene Kind wieder als Vollmitglied mit allen Rechten aufgenommen.

Die Neuregelung hat aus Sicht der Bischöfe zwei Vorteile: Zum einen entspricht die Einladung zum Gespräch dem seelsorgerischen Auftrag der Kirche, die nun nicht mehr wie eine anonyme Behörde reagiert. Zum zweiten schafft das Verfahren Rechtsklarheit und signalisiert, dass die Kirche, die ihre inneren Angelegenheiten laut Grundgesetz autonom regeln kann, für sich ein Recht definiert hat.

"Wer aus der Kirche austritt, tritt aus der Kirche aus", sagte der Sekretär der Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, dem Kölner Dom-Radio. "Es ist Quatsch anzunehmen, man könne nur aus der Organisation Kirche austreten und trotzdem katholisch bleiben." Spannend ist nun, ob das die obersten Verwaltungsrichter auch so sehen.

Unterschwellige Drohung

Von SZ-Redakteur

Jörg Wingertszahn

Der Zeitpunkt für die Neuregelung des Kirchenaustritts ist sicherlich kein Zufall. Gut eine Woche vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Fall des Freiburger Kirchenrechtlers Zapp hat die Kirche neue Fakten geschaffen; damit hat die Entscheidung des Gerichts deutlich an Brisanz verloren. Der Kirche verbunden bleiben, ohne Kirchensteuer zu zahlen, das ist nun ausgeschlossen. Aus Sicht der deutschen Bischöfe ist das sogar konsequent: Warum sollten sie eine Mitgliedschaft "light" erlauben, wenn jemand sich formal distanziert, aber trotzdem die Segnungen der Kirche beanspruchen will? Und das in Zeiten knapper Kassen? Und dennoch ist die unterschwellige Drohung nicht zu überhören: Wehe, wenn Du austrittst! Die Austrittswilligen wird aber auch die Verschärfung nicht von ihrem Schritt abhalten. Wer sich von der Kirche abgewandt hat, den schrecken Sanktionen nicht. Die Kirche aber muss sich fragen, warum immer mehr Menschen ihr den Rücken kehren.

Hintergrund

Seit dem Kulturkampf (1871-1878) ist es möglich, vor einer staatlichen Behörde den Kirchenaustritt zu erklären. Durch die Möglichkeit eines Kirchenaustritts gewährleistet der Staat auch in dem Sinne Religionsfreiheit, dass sich seine Bürger von einer Religion abwenden können. So räumt er dem Bürger ein, sich von seiner bisherigen Religionsgemeinschaft öffentlich zu distanzieren und sich damit auch der Kirchensteuerpflicht zu entledigen. Nach dem katholischen Kirchenrecht kann die durch die Taufe erworbene Kirchenzugehörigkeit niemals völlig erlöschen. Als Folgen eines Kirchenaustritts werden die Mitwirkungsrechte in der Gemeinschaft beschnitten: Der Zugang zu Beichte und Eucharistie ist dem Ausgetretenen - außer in akuter Todesgefahr - verwehrt. Er darf auch nicht mehr Taufpate werden. kna

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