Wenn der Vater nicht Vater sein darf

Brüssel/Straßburg. Wenn ein Kind zwei Väter hat, muss der Erzeuger unter Umständen zurückstehen. Mit diesem Spruch hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gestern für Wirbel gesorgt. Zwei deutsche Kläger wollten, dass ihre Vaterschaft anerkannt wird, obwohl die Mutter mit einem neuen Partner zusammenlebt, der das Kind rechtlich anerkannt hat

Brüssel/Straßburg. Wenn ein Kind zwei Väter hat, muss der Erzeuger unter Umständen zurückstehen. Mit diesem Spruch hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gestern für Wirbel gesorgt. Zwei deutsche Kläger wollten, dass ihre Vaterschaft anerkannt wird, obwohl die Mutter mit einem neuen Partner zusammenlebt, der das Kind rechtlich anerkannt hat. Einer der Beschwerdeführer argumentierte, er werde im Verhältnis zur Mutter, zum rechtlichen Vater und zum Kind diskriminiert.Die Richter des Hofes sehen das anders. Zwar sei in einem Fall in das Recht auf Achtung des Privatlebens eingegriffen worden, weil die deutschen Gerichte auch einen Vaterschaftstest verweigert hatten. Im Übrigen könne von einer Verletzung des Rechtes auf Achtung des Familienlebens keine Rede sein: Zwischen den biologischen Vätern und ihrem Nachwuchs habe keine persönliche Beziehung bestanden. Mehr noch: Der deutsche Gesetzgeber habe das Recht, "der bestehenden Familie und dem betroffenen Kind sowie dessen rechtlichen Vater, der sich regelmäßig um das Kind kümmert" Vorrang einzuräumen. Das entscheidende Kriterium sei die Frage, ob es einen sozio-familiären Zusammenhalt mit dem Kind gebe. Dieser sei in beiden Fällen mit den rechtlichen Vätern entstanden, mit dem leiblichen nicht.

Vor diesem Hintergrund könne ein Staat auch die Feststellung der biologischen Vaterschaft untersagen - weil dies nicht möglich sei, ohne die Stellung des rechtlichen Vaters anzufechten: "Das Kind und seine soziale Familie dürfen durchaus vor äußerer Beeinträchtigung geschützt werden." Sollte das Interesse des Erzeugers dem zuwiderlaufen, müsse er zurückstehen.

Experten sprachen von einer Weisung, das Kindeswohl in den Vordergrund zu stellen. Es könne nicht sein, dass "jemand Jahre später sein Interesse an der Vaterschaft wiederentdeckt und dadurch eine funktionierende Familie beschädigt". An der deutschen Rechtslage ändert das Urteil nichts. Die Gerichte hätten, so die Straßburger Juristen, "die jeweilige Situation in beiden Fällen sorgfältig geprüft". dr

Meinung

Keine Automatismen

Von SZ-RedaktionsmitgliedGregor Haschnik

Dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen "bestehenden Familienverband" schützt, ist richtig. Allerdings muss jeder Fall genau geprüft werden, um dem Kindeswohl tatsächlich Rechnung zu tragen - und dem Recht leiblicher Väter, die für ihre Kinder sorgen wollen und können. Ihre Vaterschaft sollte erst recht anerkannt werden, wenn sie dies kurz nach der Geburt fordern. Dann ist die "sozial-familiäre Beziehung" zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater, mit welcher die europäischen Richter argumentieren, kaum ausgeprägt. Wenn der leibliche Vater nicht auch der rechtliche ist, ist es für ihn - etwa weil er sein Kind seltener sieht - viel schwieriger, eine enge Bindung aufzubauen. Daran haben Kinder aber ein starkes, natürliches Interesse. Vor allem, wenn der "Familienverband", der beim Gerichtshof Vorrang hat, nicht intakt ist. Das sollten deutsche Gerichte im Blick haben.

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